Sie sind grobkörnig und dadurch ziemlich unscharf, die Fernsehbilder von damals. Aber wie die Russen unmittelbar nach Spielende auf ihren Schlägern lümmeln und ins Leere stieren, aus diesen paar Sequenzen wurde Eishockey-Geschichte. Wie Mike Eruzione das 4:3 für die USA erzielt, ist zu sehen. Und wie sich US-Keeper Jim Craig verzweifelt in einen der letzten Schüsse der Russen wirft. Es war das „Miracle on Ice“, wie der gleichnamige Film heißt. Der Sieg, der die USA 1980 in Lake Placid zwei Tage später zum Olympia-Sieger gemacht hat.

Aber es war nicht das Ende, es war genau genommen der Anfang jener „Roten Armee“, die in den Jahren danach, bis zum Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion, auf dem Eis alles niederwalzte. „Tichonow (Anm., Teamchef Wiktor Tichonow) hat alle Altgedienten gefeuert“, sagt Wjatscheslaw „Slawa“ Fetissow, der vielleicht beste, auf jeden Fall aber höchstdekorierte Verteidiger aller Zeiten.
Aber noch etwas sagt Fetissow, Hauptdarsteller der neuen Kino-Dokumentation „Red Army“, heute über eine Art jahrelange, schlummernde Revolte gegen Wiktor Tichonow, den wahrscheinlich totalitärsten Teamchef, den es je gegeben hat: „Wozu für einen Kerl spielen, der uns als Mensch nicht respektiert.“

Ein Diktator . . .

Für Wiktor Tichonow, 1976 vom KGB zum Trainer der Eliteeinheit ZSKA Moskau, des Nationalteams und zum Oberst der Sowjetarmee befördert, war Olympia 1980 die größte Schmach seines Lebens. „Wir trainierten danach vier Mal täglich. Im Sommer. Mit 200 Puls“, sagt Fetissow. Elf Monate des Jahres lebte und trainierte das UdSSR-Team von der Außenwelt isoliert. „Manche pissten Blut“, sagt Torhüter-Legende Wladislaw Tretjak, heute 62 und Präsident des russischen Eishockeyverbands, im Filminterview über die damaligen Trainingsmethoden.

Für Regisseur Gabe Polsky wurde das Team der „Roten Armee“ „als ein Propagandainstrument benutzt“. Geprägt von Repression und Leistungsdruck sei es „Spiegel der Sowjetgesellschaft“ gewesen. Mit der „Red Army“ wird ein in der UdSSR „zur Kunstform erhobenes Eishockey“, wie es im Film heißt, ebenso nachgezeichnet wie Sport und Eishockey „als eine Art von Krieg“ und zur Demonstration der UdSSR als Weltmacht zu Zeiten des Kalten Kriegs.

. . . kalte Krieger

Dass Wjatscheslaw Fetissow, in Handschellen an einen Heizkörper gekettet, von den Sowjet-Schergen verprügelt wurde, weil er in die amerikanische NHL wechseln wollte, passt exzellent in das teils skurrile filmische Bild der „Red Army“. Ebenso wie das anfängliche Scheitern von Fetissow und Co. in der NHL und die damals allgegenwärtige Angst der Amerikaner („Sowjets in der NHL bedrohen den Westen“) vor Eishockey-Russland.

Einer der damaligen US-Präsidenten, Ronald Reagan, dürfte eingangs des Filmes („Wie wir der kommunistischen Bedrohung begegnen, liegt an Ihnen“) jedoch nicht die „Red Army“, zumindest nicht jene des Eishockeys, gemeint haben. Auch „Auf Wiedersehen, Kapitalisten! Holt uns doch ein, wenn ihr könnt“ von Nikita Chruschtschow wird kaum dem US-Eishockey gegolten haben. Chruschtschow war bis 1964 UdSSR-Regierungschef, lange vor der Eishockey-Epoche „Red Army“.

GERALD POTOTSCHNIG