Was mag in Julia Timoschenko in der Lagerhaft vorgehen? Spürt sie nur marternde Schmerzen im Rücken? Oder lodert in ihr der Hass auf jene, die sie eingekerkert haben? Nicht auszuschließen ist, dass sich die 51-Jährige als Märtyrerin empfindet, die für das Schicksal ihres Landes leidet.

Julia Timoschenko galt 2004 als Jeanne d'Arc der orangen Revolution. Wie sich einst die heilige Johanna im Kampf für Frankreich gegen Bischöfe und Engländer empörte, so lehnte sich die Ukrainerin gegen den von Russen und Oligarchen unterstützten Wahlfälscher Viktor Janukowitsch auf. Der Präsident hat sie vor einem halben Jahr von einer willfährigen Justiz einsperren lassen. Dieses Bild zeichnen Timoschenkos Bewunderer. Doch es gibt auch jene Version, die von einer raffgierigen Egoistin handelt.

Die Bombenanschläge der Vorwoche haben die Aufmerksamkeit auf ihren Geburtsort Dnjepropetrowsk gelenkt. Es ist eine öde Industriestadt, in der sie vaterlos aufwächst und mit 19 den Armenier Alexander Timoschenko heiratet. Beide erwirtschaften sich mit einem Videoverleih ein Grundkapital.

Die Stunde der Timoschenkos schlägt nach dem Untergang der Sowjetunion. Alexander Timoschenko pflegt gute Kontakte nach Russland. Das Ehepaar verdient im undurchsichtigen Erdölgeschäft seine erste Million. 1995 wird Timoschenko Chefin des Energieriesen EESU und steigt zur milliardenschweren "Gasprinzessin" auf. Sie zählt zum Kreis der Oligarchen, von denen es heißt, sie hätten sich das Volkseigentum der Sowjetrepublik mit Mafiamethoden unter den Nagel gerissen.

Geld aus Gasverkauf

"Jeder, der auch nur einen Tag in der ukrainischen Wirtschaft gearbeitet hat, könnte eingesperrt werden", sagt Timoschenko über die Geschäftspraktiken jener Zeit. Ihr eigenes System ist simpel. EESU importiert subventioniertes Gas aus Russland und verkauft es zu Weltmarktpreisen weiter. Doch wohin fließen die Gewinne? Im zweiten Prozess gegen Timoschenko, der kürzlich in Charkiw begonnen hat, geht es um diese Frage. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Steuerhinterziehung von 300 Millionen Euro vor. Echte Erkenntnisse wird das Verfahren kaum bringen.

Feinde im Kreis der Oligarchen hat Timoschenko schon in den 90er-Jahren. Um sich gegen strafrechtliche Verfolgung abzusichern, wechselt sie in die Politik. Doch es hilft alles nichts. Ihre Rivalen leiten Timoschenkos Sturz ein. Sie landet wegen der EESU-Geschäftspraktiken in Untersuchungshaft.

Timoschenko berichtet von einer Bekehrung im Gefängnis. "42 Tage lang hielten sie mich gefangen. Ich habe gelernt, mich der Macht zu widersetzen", erzählt sie. Die zierliche Frau, die über Jahre hinweg Zehntausende Dollar für Designerhandtaschen ausgegeben hat, wird zur Frontkämpferin der Opposition.

Timoschenko ändert ihr Äußeres. Das kastanienbraune Haar lässt sie blond färben und zum Haarkranz flechten, der auf manche wie ein Heiligenschein wirkt. Gemeinsam mit Viktor Juschtschenko stellt sie sich an die Spitze der Revolution - und triumphiert. Doch beide zerstreiten sich bis aufs Blut. Es geht dabei um Macht und Eitelkeit. Timoschenko hegt und pflegt ihr Vermögen hinter den Kulissen. Auf offener Bühne ist sie jahrelang Premierministerin. Doch für eine Demokratisierung tut sie nichts. Ihr Kampf erschöpft sich in Rachefeldzügen. "Julia lebt nur noch im Kampf", sagen Freunde.

Die Wahlverliererin

2009 schließt Timoschenko als Regierungschefin mit Russland einen Gasvertrag. Dabei bootet sie Dmytro Firtasch als Zwischenhändler aus. Der Oligarch finanziert die Partei von Janukowitsch. Als der 2010 die Wahl gegen Timoschenko gewinnt, fordert Firtasch den Kopf der Verliererin. Anderthalb Jahre später verurteilt sie ein Kiewer Gericht zu sieben Jahren Haft.

Im Gefängnis erleidet Timoschenko einen Bandscheibenvorfall. Von Misshandlungen ist die Rede. "Sie hat starke Schmerzen", sagen deutsche Ärzte, die sie untersuchen. "Und sie hat Angst vor Anschlägen auf ihr Leben." Was in ihr wirklich vorgeht, wissen die Mediziner nicht.