Die zweite prägende Macht des asiatischen Kontinents neben China ist Indien. Über 1,2 Milliarden Inder hat die heurige Volkszählung ergeben - in 20 Jahren mit dann über 1,4 Milliarden Menschen wird Indien das bevölkerungsreichste Land sein. Indien ist ein zutiefst korruptes Land, in dem die Demokratie dennoch ziemlich gut funktioniert. Seitdem es sich vom sozialistischen Denken zu einem gewissen Maß an Marktwirtschaft weiterentwickelt hat, wächst auch die Wirtschaft gehörig. Die zwei Atomwaffenmächte und Bevölkerungsriesen könnten den asiatischen Kontinent prägen. Aber sie haben zahlreiche Vorbehalte gegeneinander. Obwohl Chinas Premier Wen Jiabao beim Indien-Besuch 2010 erklärte, dass in der Welt genug Platz für zwei aufsteigende Großmächte sei, weist die Beziehung Spannungen auf.

In Indien ist die Sinophobie weitverbreitet. Geopolitische Ängste sind vorhanden. Trotz der physikalischen Grenze des Himalaja fühlt man sich eingekreist. Denn der östliche Nachbar Myanmar (Burma) ist - noch - ebenso ein chinesischer Verbündeter wie das westlich gelegene Pakistan. Durch Chinas Unterstützung des Atomwaffenprogramms des Erzfeindes Pakistan wird Indiens Dominanz auf dem Subkontinent geschmälert.

In der 3000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze gibt es keine einzige offene Straßenverbindung; einer gemeinsamen Kommission ist es nicht gelungen, den Verlauf einvernehmlich festzulegen. China beansprucht Teile des indischen Gliedstaates Arunachal Pradesch und hält das zu Kaschmir gehörige Aksai Chin besetzt. 1962 haben chinesische Truppen die indischen Linien überrannt und einige Gebiete - die China als sein Territorium betrachtet - besetzt.

Misstrauen

Das Misstrauen bleibt und Indien - das sich selbst als Großmacht empfindet - sieht Chinas Ambitionen gegen sich selbst gerichtet. In infrastrukturellen Maßnahmen, wie einer Eisenbahnlinie zur tibetischen Hauptstadt Lhasa, sieht man den Ausbau strategischer Maßnahmen für einen neuen Krieg im Himalaja. Freilich ist das Misstrauen gegenseitig, denn Indien beherbergt eine tibetische Exilregierung und der Dalai Lama wird regelmäßig von Regierungsstellen empfangen. Also - mutmaßen die Chinesen - akzeptiert Indien die territoriale Integrität Chinas (mit Tibet als Bestandteil) nicht wirklich.

Pekings Flottenausbau zielt nicht nur auf die Kontrolle der Meere vor Südostasien, sondern auch auf den Indischen Ozean: China baut Häfen in Myanmar/Burma, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan. Indien fühlt sich dadurch im engeren Machtbereich herausgefordert und setzt seinerseits auf den Ausbau einer Hochsee-Marine (Flugzeugträger, atomgetriebene U-Boote). Trotz enormer Rüstungsausgaben weisen die Streitkräfte Indiens aber große Defizite auf.

Machtpolitisch gesehen ist es deshalb logisch, dass Indien und die USA zusammenrücken, um Macht und Einfluss Chinas zu begrenzen. Für Indien sehr wichtig war dabei der Atomvertrag mit den USA, der Indien den Zugang zu Atomtechnologie gibt und es quasi als Atommacht anerkennt. Für Indien sind die USA ein brauchbares Gegengewicht zu China und für die USA ist die Achse mit Indien eine Art Eindämmung Chinas.

Machtpolitisch logisch wäre auch eine Annäherung zwischen Indien und Japan. Japans Haupthandelsrouten gehen durch den Indischen Ozean und es fühlt sich zunehmend von China eingeengt. Die militärische Aufrüstung Chinas und die Entwicklung von Nuklearwaffen und ballistischen Raketen in Nordkorea veranlassen Japan zum Ausbau der Kooperation mit den USA und Südkorea - und vielleicht auch mit Indien.

Japan ist nach den USA das reichste Land der Welt und könnte, wenn es wollte, in kürzester Zeit militärische Großmacht sein. Deshalb ist auch seine Entwicklung zu beachten und es hätte eine Annäherung Japans an Indien entscheidende Bedeutung für das Machtgefüge.

Erich Reiter ist Honorarprofessor für Internationale Beziehungen an der Uni Graz und war Beauftragter für Strategische Studien im Verteidigungsministerium.