Der ägyptische Friedensnobelpreisträger El-Baradei sieht die demokratische Entwicklung in seinem Land ein Jahr nach dem Sturz von Langzeitpräsident Mubarak kritisch. Der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde sagte der "Welt am Sonntag" mit Blick auf den herrschenden Militärrat: "Das Militär geht immer noch oft genug rücksichtslos vor, es herrscht Willkür."

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Generäle sei zerstört: "Sie haben durch ihr miserables politisches Management im Laufe des vergangenen Jahres sehr viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Kein Mensch glaubt ihnen mehr." Auf die Frage, ob ein Militärputsch drohe, antwortete El-Baradei: "Das Risiko gibt es immer. Ich glaube aber nicht, dass die Militärs das wagen würden. Sie wissen ganz genau, dass dann die 20 Millionen, die auf die Straße gingen, wieder aufstehen werden." Die Armeeführung müsse ihre Machtpositionen in Staat und Wirtschaft aufgeben, forderte El-Baradei. "Die Armee muss lernen, dass sie eine Armee in einem demokratischen Staat ist."

Von Mai an wird in Ägypten ein neuer Präsident gewählt, Ende Juni soll das Ergebnis feststehen. Danach - so ist es vorgesehen - gibt der Militärrat die Regierungsverantwortung wieder ab. El-Baradei hatte sich selbst als Bewerber für die Präsidentschaft ins Spiel gebracht, aber im Januar aus Enttäuschung über die schleppende Demokratisierung des Landes erklärt, nun doch nicht anzutreten.

Der "Welt am Sonntag" sagte der Friedensnobelpreisträger, er wolle künftig die Interessen der Demonstranten vom Tahrir-Platz vertreten und sich darum kümmern, "dass die Jugend zu einer politischen Formation findet, vielleicht auch eine Partei gründet. Mein Ziel ist es, dass sie bei der kommenden Parlamentswahl Aussicht auf Erfolg hat."