"Lerne Addyi kennen", heißt es auf der Webseite. "Sie ist die erste ihrer Art." Daneben ist die rosafarbene Silhouette eines weiblichen Kopfes zu sehen. Addyi ist nicht etwa eine Frau, sondern der Handelsname einer Tablette, die schon vor ihrer Markteinführung für reichlich Wirbel gesorgt hat: Flibanserin heißt der Arzneistoff darin, besser bekannt ist das Medikament als "Viagra für Frauen".

Nach zwei gescheiterten Anläufen hatte das Mittel im August die Zulassung für den US-Markt bekommen. Am Samstag (17. Oktober) kommt Addyi nun in die Geschäfte. "Der süßeste Tag" jubelt die Herstellerfirma Sprout Pharmaceuticals bereits auf der Werbe-Webseite.

Überfällig oder unnötig?

Viele Fachleute sind allerdings bisher nicht davon überzeugt, dass das Medikament ein Erfolg wird - unternehmerisch und in seiner Wirkung. Dabei sei ein Mittel gegen sexuelle Unlust bei Frauen eigentlich längst überfällig, sagte die Gynäkologin Karen Adams von der Health and Science University im Bundesstaat Oregon dem "Forbes"-Magazin. "Zwischen 40 und 50 Prozent aller Frauen haben irgendeine Art von sexueller Störung. Das ist also sehr verbreitet und so gesehen hat sich auf dem Pharma-Entwicklungsmarkt da noch nicht viel getan."

Aber: "Lustlosigkeit kann viele Ursachen haben", sagt die Sexualmedizinerin Elia Bragagna. Diese reichen von Überlastung im Alltag über Beziehungsprobleme bis hin zu einer beginnenden Depression. "All diese Ursachen müssen ausgeschlossen oder behandelt werden, bevor die Lustpille verschrieben wird", sagt Bragagna.

Bragagna befürchtet auch, dass der Druck auf Frauen durch die Lustpille immens steigen wird: "Sie hat Lust zu haben, und wenn sie keine hat, dann gibt es ja die Tablette - obwohl die Probleme vielleicht woanders liegen."

Kein Viagra

Trotz seines Spitznamens ist das Präparat nicht mit dem Viagra für Männer zu vergleichen. Die blaue Pille wirkt direkt auf den Körper: Sie hilft Männern, eine Erektion zu bekommen. Es geht also um das Können, nicht um das Wollen.

Bei vielen Frauen ist das Problem kein körperliches. Sie haben selten oder nie Lust auf Sex und wenn es doch dazu kommt, empfinden sie keinen Spaß. Das belastet nicht nur die Frauen selbst, sondern auch die Männer und die ganze Beziehung.

Antidepressivum

Addyi soll diesen Frauen die Lust zurückbringen. Die Substanz beeinflusst Botenstoffe im Gehirn - ähnlich wie ein Antidepressivum. Viagra wirkt, einmal eingeworfen, direkt und bei fast 100 Prozent der Männer. Addyi ist erheblich weniger effizient und zudem risikoreicher.

Jeden Tag muss die Tablette eingenommen werden, erst nach Wochen zeichnen sich leichte Effekte ab - und das auch nur bei etwa einer von zehn Frauen. Außerdem hat Flibanserin häufig starke Nebenwirkungen wie Schwindelgefühle, Müdigkeit und Übelkeit. Und die Frauen dürfen während der gesamten Dauer der Einnahme keinen Alkohol trinken, um die drohenden Nebenwirkungen nicht noch zu verstärken.

Milliardengeschäft?

Doch auch wenn das Mittel nur für einen Bruchteil der betroffenen Frauen interessant ist - weltweit könnten das Millionen sei, die womöglich Milliarden dafür zahlen würden. Der Preis des Mittels waren zunächst noch unklar. In den USA hat der Hersteller zumindest schon eine große Werbe- und Imagekampagne gestartet.

Viele Frauenärzte raten wie Karen Adams ihren Patientinnen davon ab, sich sofort auf das vermeintliche Wundermittel zu stürzen. Bei sexueller Unlust sollten erst einmal andere Dinge geprüft werden: die Gesundheit von Körper und Geist etwa und der Zustand der Beziehung.

Nicht ausschütten

Viele Probleme könnten besser mit einer Paartherapie gelöst werden, sind viele Fachleute überzeugt. "Es ist wirklich unangebracht, da mit einer Tablette anzufangen", sagt Adams. "Man muss sich erstmal die Gründe anschauen, warum eine Frau keinen Sex haben will."

Auch Sexualmedizinerin Bragagna sagt: "Ich will die Pille nicht verdammen, manchen Frauen kann sie bestimmt helfen. Aber man darf sie nicht einfach über alle ausschütten."

Christina Horsten/dpa, Sonja Saurugger