Herr Professor Samonigg, im Jahr 1971 hat der damalige US-Präsident Richard Nixon den "war on cancer", den Krieg gegen den Krebs, ausgerufen, mit dem Ziel, das Heilmittel gegen diese Erkrankung zu finden. Wie weit sind wir heute?

HELLMUT SAMONIGG: Es sind große Fortschritte erzielt worden, aber ein Sieg über den Krebs ist nicht gelungen. Ich bezweifle auch, dass wir die Erkrankung in absehbarer Zeit ausrotten werden. Das wird nicht gelingen, so wie wir auch nicht alle Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausrotten können.

Krebs entsteht aus körpereigenen Zellen, ist es damit überhaupt denkbar, Krebs auszurotten?

SAMONIGG: Krebs ist weit älter als der Mensch, schon Dinosaurier hatten Krebs. Wir können daraus schließen, dass die Krankheit ein biologischer Unfall ist, der im Körper vorhanden ist.

Was passiert im Körper, wenn wir Krebs haben?

SAMONIGG: Es kommt zu einer Entgleisung in den Zellen: Krebszellen vergessen, wie sie sich zu verhalten haben, sie teilen sich rasend schnell, dringen in andere Gewebe vor und führen ein Eigenleben im Körper. Diesen Unfall komplett zu verhindern, wird wohl nie gelingen.

Unser Körper ist ein hochintelligenter Organismus, Krebszellen sind ein Teil dieses Körpers - ist es daher so schwer, den Krebs zu besiegen?

SAMONIGG: Wir wissen sehr viel darüber, was bei Krebs falsch läuft. Diesen Prozess, der zu intensiver Forschung und besserem Verstehen geführt hat, hat Nixon ausgelöst. Durch dieses Wissen konnten wir auch passende Medikamente entwickeln, die Krebszellen quasi abschalten oder umprogrammieren können. Leider ist es aber so, dass Tumorzellen so intelligent sind, dass sie sich ständig Ausweichwege suchen, um diesen Medikamenten zu entkommen.

Eine neue Zieldefinition ist, Krebs zur chronischen Erkrankung zu machen. Was bedeutet das?

SAMONIGG: Wir haben einen 80-jährigen Patienten, der seit zwölf Jahren sehr gut mit einem metastasierten Tumor lebt - das ist ein gutes Beispiel. Beim Großteil der Krebsfälle ist es natürlich das Ziel, den Tumor zu entfernen und die Krebserkrankung mittels anderer Therapien zu heilen. Und zwar im Sinne lebenslanger Tumorfreiheit. Hat ein Tumor aber bereits Metastasen, also Tochtergeschwüre, gebildet, ist Heilung leider nur selten möglich. Dann ist es unser Ziel, das Fortschreiten der Erkrankung über möglichst lange Zeit zu stoppen. Das ist dann eine chronische Erkrankung, wie jede Herzerkrankung, jeder Diabetes.

Welcher Therapieansatz ist der vielversprechendste?

SAMONIGG: Große Hoffnung setzen wir neben der personalisierten Therapie in die Immuntherapie: Sie wurde seit Jahrzehnten beforscht und plötzlich gab es den Durchbruch. Damit wird das körpereigene Immunsystem dazu gebracht, den Tumor anzugreifen. Es gibt ein Medikament, das zu Überlebenszeiten führt, die beinahe unglaublich sind, und das geringe Nebenwirkungen hat. Beim schwarzen Hautkrebs wurde es schon getestet, es ist nun bei anderen Krebsformen in Erprobung. Ob wir überall den Erfolg haben werden, werden wir sehen.

Bei welchen Krebsformen hat man große Fortschritte gemacht, bei welchen ist man machtlos?

SAMONIGG: Wir können 80 bis 90 Prozent der Brustkrebsfälle tumorfrei bekommen. Beim Dickdarmkarzinom gab es große Fortschritte sowie beim Nierenzellkarzinom, wo wir nach jahrelanger Frustration plötzlich mehr als acht Medikamente zur Verfügung haben. Auch beim Lungenkarzinom gibt es neue Medikamente, aber der Erfolg ist eher bescheiden. Bei Hirntumoren, Sarkomen und Bauchspeicheldrüsenkrebs können wir noch viel zu wenig tun.

Im Jahr 2020 soll es 100.000 Krebserkrankungen mehr in Österreich geben. Woran liegt das?

SAMONIGG: Die Hauptursache ist das Alter, je älter wir werden, desto höher ist das Krebsrisiko, da bestimmte Reparaturmechanismen in den Zellen nicht mehr funktionieren. Aber auch vermeidbare Faktoren wie Rauchen, Übergewicht oder zu viel Alkohol spielen mit. Optimisten sprechen von 75 Prozent, vorsichtigere Schätzungen sagen, 30 bis 50 Prozent der Krebsfälle wären durch einen gesünderen Lebensstil vermeidbar.