Welche Argumente gibt es ungeachtet der Kritik von Menschenrechtlern an Aserbaidschan, dort den Eurovision Song Contest auszutragen?

Pamuk: Ungeachtet der berechtigten Kritik von Menschenrechtlern an der politischen Lage ist der ESC extrem wichtig für das Land. Ich glaube, dass der Kontakt zwischen Menschen des Westens und Ostens, das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen, wichtig ist für die Entwicklung Aserbaidschans. Es wäre schade, wenn es zu einer Isolierung des Landes auf gesellschaftlicher Ebene käme. Und das wäre das Ergebnis eines Boykotts.

Wo steht Aserbaidschan im Vergleich zu anderen Ex-Sowjetrepubliken, wenn es um demokratische Grundrechte wie Rede- und Versammlungsfreiheit geht?

Pamuk: Aserbaidschan ist ein Staat mit autoritärem Charakter. Aber das bedeutet nicht, dass es dort überhaupt keine Elemente von Pluralität und Freiheit gibt. Ein Beispiel ist die Religionsfreiheit. Es gibt auch Sphären in der Gesellschaft, in denen man sich frei bewegen kann - solange man sich nicht politisch engagiert. In Aserbaidschan funktioniert eher alles nach informellen Regeln und Netzwerken als nach demokratischen Mechanismen. Die Südkaukasusrepublik steht wohl in der Mitte, wenn wir uns die ehemaligen Staaten der Sowjetunion anschauen. Im Vergleich mit den anderen beiden Ländern der Region - Georgien und Armenien - schneidet es aber am schlechtesten ab. Allerdings hat Aserbaidschan aufgrund seiner Geschichte und der Offenheit und Westorientierung seiner Bevölkerung ein gutes Potenzial mit Blick auf die Entwicklung von Demokratie und Pluralismus.

Teilen Sie die Einschätzung einiger Experten, die nach dem ESC erwarten, dass die Führung die Daumenschrauben fester anzieht?

Pamuk: Es gibt bestimmte Tendenzen bzw. Signale, dass nach dem Song Contest die Isolierung zunimmt. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist die aserbaidschanische Führung zunehmend selbstbewusst als Energielieferant für den Westen. Es ist aus aserbaidschanischer Sicht eine Frage der Ehre, sich Einmischung von außen zu verbitten. Die Führung in Baku betont, dass man sich nach Westen orientieren wolle, aber das Land trotzdem seine eigenen nationalen Werte habe. Der Westen wird leider auch häufig als imperialer Akteur verunglimpft. Den Bürgern wird so die Gefahr eingeimpft, dass ihre Traditionen aufgeweicht werden könnten.