Ganz gesund ist Marco Michael Wanda beim Telefoninterview noch nicht: "Ich trinke sehr viel Ingwertee, aber es wird schon. Es hat halt seinen Tribut gefordert", sagt der Wanda-Kopf über das letzte verrückte Jahr der Wiener Band, in dem sie von der kleinen Wiener Vorstadtband zur größten Rock'n'Roll-Hoffnung des deutschsprachigen Raums wurden. Vom Wiener Indie-Label "Problembär" wechselten sie mit dem neuen Album "Bussi" (es erscheint am 2. Oktober) auch zum Major Vertigo/Universal Music.

Ein wohl sehr aufregendes Jahr liegt hinter Wanda. Hatten Sie jetzt Zeit, etwas durchzuschnaufen und erstmals zu reflektieren, was da eigentlich alles passiert ist?

MARCO MICHAEL WANDA: Es war ziemlich verrückt. Wir stehen vor diesem Jahr wie die Abenteurer, die die Pyramiden entdeckt haben. Mit offenem Mund - aus dem die Tschick aus dem Mundwinkel heraushängt. Aber ich glaub', ich mag mich nicht quälen, ich werd' diese Reflektion aufheben für ein Leben nach dem Tod. Ich will gar nicht wissen, was da genau passiert ist und warum. Es ist egal.

Ein Ende des Hypes um die Band ist alles andere als in Sicht, vielleicht wird es sich sogar noch steigern – es gibt ein neues Album, und eine neue Plattenfirma ...

WANDA: Es ist auch das neue Album nicht schlecht, an dem wird es nicht scheitern.

War der Wechsel vom kleinen Wiener Indielabel "Problembär Records" zum Major vorbestimmt?

WANDA: Das war schon lange klar, dass wir – gemeinsam mit unserem Manager - zum Major wechseln werden. Für uns hat sich damit nicht viel geändert, wir arbeiten jetzt mit mehr Menschen daran, unsere Musik herauszubringen. Das macht sehr viel Spaß und ist ein nobles Unterfangen.

Hat sich Wanda immer schon als Majorband gesehen?

WANDA: Das Wort mag ich nicht, aber wir haben uns schon immer als Volksband gesehen, die für alle Menschen da ist. Wir wollten niemanden ausschließen, Wanda war immer eine Einladung. Für alle. Das ist der Geist, in dem die Konzerte funktioniert haben, das ist Punk - und Punk schließt niemanden aus in Wahrheit.

Sie waren ständig auf Tour und bringen trotzdem schon nach nicht einmal einem Jahr ein neues Album auf den Markt – hat da jemand drauf gedrängt?

WANDA: Wir dürfen alles selbst entscheiden, drängen kann man vielleicht eine Castingband, nicht eine Band, die schon mit einem Platinalbum zu einem Major gekommen ist. Das ist schon ein Duell auf Augenhöhe mit unserer Plattenfirma. Dass das zweite Album so schnell kommt, ist schnell erklärt: Wir haben genug Songs gehabt, die müssen raus. Die sind ungeduldig und voller Tatendrang. Und jetzt läuft's grad so schön, niemand wollte eine Pause haben. Das fühlt sich nicht richtig an. Wir schulden das den Leuten, die uns ins Herz geschlossen haben, jetzt, dass wir weitermachen. Für die ist ja auch ein Jahr vergangen, die brauchen neue Musik.

Wobei neue Musik gar nicht so neu ist? Gäbe noch Musik für ein drittes Album.

WANDA: Jaja, und ein Viertes!

Entstanden die neuen Lieder alle schon vorher? Oder "nebenbei" auf Tour?

WANDA: Das kann man nicht so sagen. Das fühlt sich so unnatürlich für mich an, das zu erklären. Für mich ist ganz klar, ich bin ein Liedermacher und mache Lieder. Wann und unter welchen Umständen ich die schreibe, ist völlig egal, bis zum Veröffentlichungsdatum haben sie für die Öffentlichkeit ja eh nicht existiert. An welchem Tag, bei welchem Wetter, in welcher Stimmung – das wäre etwas für eine Biografie, das ist viel zu umfassend. Ich schreibe etwa 200 Lieder im Jahr und kann mich bei Gott gar nicht mehr erinnern. Die liegen alle auf irgendwelchen Tonbändern in der Wohnung herum, und wenn ich eins brauche, dann suche ich es raus und arbeite es zu Ende.

Wie haben Sie entschieden, welches Lied auf welches Album kommt?

WANDA: Das war Instinkt, wir haben das genommen, das halt gerade passte, das sich in Gemeinschaft gut angehört hat. Wir haben sehr darauf geachtet, dass die Texte zueinander passen, dass es ein starkes Narrativ gibt. Das war uns wichtig.

Stichwort "Narrativ": Was ist der gemeinsame Nenner am Album "Bussi"?

WANDA: Es ist immer noch Wanda, das ist ganz klar, das ist die von uns gewohnte und verlangte Musik. Mir kommt es textlich ein wenig düsterer vor, ein wenig symbolhafter, ein wenig unbewusster. Aber es ist nur einen Steinwurf entfernt von unserer restlichen Arbeit.

Würden Sie auch sagen "rätselhafter"?

WANDA: Das kann sein, mir selbst erschließt sich die Platte erst so langsam. Ich muss sie noch oft hören, bis ich sie verstanden habe.

Aber die erste haben Sie mittlerweile verstanden?

WANDA: Mittlerweile. Ein Jahr danach habe ich sie verstanden.

Woher kommt eigentlich die Vorliebe für das Italienische, für die "Amore"?

WANDA: Amore war ein Wort, dass ich für einen Songtext auf einen Zettel geschrieben habe. Mittlerweile hat unser Publikum dem Wort ein unglaubliches Leben eingehaucht. Ich finde es ganz schön, was aus diesem Wort gemacht wird, dass es mit so viel positiver Kraft besetzt ist. Deswegen will ich auch gar nichts darüber sagen, weil ich glaube, dass das Wort längst eine Projektionsfläche ist, die mit mir gar nichts mehr zu tun hat.

Auf "Bussi" geht es nach Spanien, auf "Amore" geht es oft um Italien – hat das vielleicht etwas mit einer Sehnsucht, einem Eskapismus zu tun?

WANDA: Das sind alles Symbole, ein grenzenloser textlicher Kosmos. Vielleicht soll das vielmehr veranschaulichen, dass das Bewusstsein keine Grenzen hat: Ich glaube, darum geht es, wenn ich über Orte schreibe, nicht um die Orte selbst. Das Bologna, über das ich geschrieben habe, gibt es so nicht. Auch das ist eher wieder etwas, das das Publikum daraus macht. All diese Orte, die im Video zu "Bologna" vorkommen, sind völlig entfremdet. Wir kriegen ständig Fotos von Menschen, die dort hingepilgert sind, wo wir gedreht haben. Dadurch eignen sich diese Menschen die Orte selbst an, was ich wunderschön finde. Da habe ich überhaupt nichts dagegen.

Bekommen Sie viel Post?

WANDA: Ja, und wir versuchen das alles abzuarbeiten. Jeder, der gerade Zeit hat, schaut einmal rein. Es gibt eine Assistentin, die das alles bewältigt. Die Arme.

Werden Sie oft auf der Straße angesprochen?

WANDA: Jaja, natürlich. Manchmal stecken mir die Leute kleine Nachrichten zu oder ich muss ein Foto machen oder es geht um Geburtstagsgrüße für einen Harald oder eine Tante Mitzi - oder Hochzeitsgrüße habe ich auch schon gemacht. Das ist aber okay, das sind immer nette Leute, da war noch nie einer agressiv oder aufdringlich. Ich musste noch nie sagen "Schleich dich".

Funktioniert das Österreichische in Deutschland genauso? Oder werden Sie manchmal nach einer Übersetzung gefragt?

WANDA: Ich glaube, die verstehen das sehr gut. Sie haben dieselbe Euphorie wie die österreichischen und auch die Schweizer Fans. Mit kommt unser Publikum überhaupt in allen drei Ländern recht geistesverwandt vor. Diese Musik zieht sehr nette Menschen an, das Publikum ist überhaupt sehr breit gehalten. Wir haben manchmal genauso fünf- bis sechsjährige Kinder in den ersten Reihen wie auch Großeltern. Das ist wirklich wunderschön.

Der "Musikexpress" schrieb in seiner Wanda-Titelstory im Sommer von der "letzten wichtigen Rock'n'Roll-Band". Wie geht man mit solchen Lobeshymnen um?

WANDA: Ich hoffe, es gibt noch andere, und wir sind nicht die letzte Rock'n'Roll-Band. Ich persönlich bin irgendwie blind für Anerkennung, immer schon gewesen. Ich habe einen guten Kompass, ich kann gut einschätzen, von wo bis wo ich funktioniere. Oder, für was ich mich selbst lieben kann. Dazu brauche ich aber kein Urteil von außen, das habe ich nie gebraucht. Es geht uns nur darum, dass wir Leuten Freude bereiten, das ist das Wichtigste an unserem Beruf.

Wie schafft man es, da am Boden zu bleiben?

WANDA: Sofern man in dieser Situation am Boden bleiben kann, bin ich am Boden. Aber ein, zwei Zentimeter schwebe ich schon darüber. Ich bringe das alles nicht mit meinem Persönlichkeitsgefüge in Verbindung. Ich weiß genau, dass die Anerkennung und Bewunderung nicht mir selbst gelten kann, da mich ja keiner kennt. Das ist rein etwas, das meine Musik auslöst, und das ist völlig okay so. Ich lasse nicht zu, dass mich das verändert. Ich habe 28 Jahre lang sehr gelitten, um der Mensch zu werden, der ich jetzt bin. Und ich will nicht, dass sich das verändert. Das ist eh alles so eine fragile G'schicht. Das ist eh sehr mühsam, jemand zu sein überhaupt.

Ist Marco Michael Wanda eine Kunstfigur? Und warum weiß man eigentlich so gut wie nichts über die Vorgeschichte der Band und der Bandmitglieder?

WANDA: Ich bin nicht so eine Falco-Kunstfigur, keine Sorge. Und wir wollen ja, dass die Biografie ein Bestseller wird, die in ein paar Jahren herausgebracht wird. Ich denke, dass die Identifikation mit Wanda vor allem über die Musik läuft, nicht über uns als Figuren - als "Stars" oder wie auch immer.

Stimmt es, dass Sie daheim kein Internet mehr haben?

WANDA: Ja, seit acht Jahren. Ich wollte nicht kein Internet mehr haben, dass mich das vom Liedermachen ablenkt, das Opfer war mir zu groß. Da starre ich lieber wie ein Morphiumsüchtiger im Endstadium ein paar Stunden auf meinen großen Zeh, als dass ich in diesen Bildschirm reinstarre und Teil dieser Empörungskultur im Internet werde.

Das heißt, ihr großer Zeh kann Sie durchaus inspirieren?

WANDA: Mehr als das Internet.

INTERVIEW: NINA MÜLLER