Nora Gomringer zeigte sich am Ende überrascht. "Ich rechne nicht mit Preisen, wer das macht ist ein Narr", sagte sie am Sonntagmittag nach Erhalt des Ingeborg-Bachmann-Preises und lieferte auch in ihren Statements eine Show zwischen Emotion und Pragmatismus. "Himmel, ich bin Germanistin! Wir haben das gekuckt wie Germanisten-Porno. Ich bin Lyrikerin!"

Poetry Slam

Die 35-Jährige ist auch Schwester von sieben Brüdern (ihre Eltern sind eine Germanistin und ein Dichter und Kunstprofessor), Deutsche und Schweizerin sowie eine Größe in der Spoken-World-Szene der Poetry Slams. Mittlerweile sei sie allerdings als Slammerin seit zehn Jahren nicht mehr aktiv, sondern vorwiegend im Hintergrund tätig, sagte sie heute. Sie hatte Poetikdozenturen in Landau, Sheffield und in Kiel, produziert Lyrikfilme und leitet seit 2010 das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. "Sie rezitiert, schreibt und liest preisgekrönt vor", hieß es in ihrer offiziellen Bachmann-Preis-Biografie. Das hat sie nun erneut unter Beweis gestellt.

Dabei hatte Gomringer, die in Neunkirchen an der Saar geboren wurde und heute in Bamberg lebt, mit der Startnummer zwei ein ausgesprochen schlechtes Los gezogen. Der letzte Bachmann-Preisträger, der die Jury bereits am ersten Tag nachhaltig überzeugen konnte, war Lutz Seiler im Jahr 2007 gewesen. Doch Gomringer lieferte eine effektbewusste, am Ende heftig beklatschte Vorlese-Show. Ihr Siegertext handelt von der Recherche einer Autorin namens Nora Bossong (diese Kollegin gibt es auch im wirklichen Leben), die ausgerechnet zur Zeit des Bachmann-Wettlesens in einem Hochhaus Parteien interviewt und sie zum Tod des 13-jährigen Tobias befragt, der von einem Balkon im fünften Stock gestürzt ist. Jurorin Sandra Kegel, die Gomringer eingeladen hatte, lobte in ihrer Laudatio die "Verstörungskomödie", die mit einem ganzen Bündel von starken, klugen und präsenten Stimmen ausgeführt werde, einen Text "voller Anspielungen und Referenzen".

Lyrik

Doch das souveräne Spiel mit Situation und Wirkung in der Performance eines Textes ist nur ein Aspekt in Gomringers Werk. Seit 2000 hat sie fünf Lyrikbände und eine Essay-Sammlung publiziert. Die Bände heißen "Nachrichten aus der Luft", "Mein Gedicht fragt nicht lange" oder "Monster Poems". In dem 2011 bei Voland & Quist erschienenen Büchlein "Ich werde etwas mit der Sprache machen" antwortet Gomringer auf eine Frage von Michael Krüger nach den Regeln gegenwärtiger Poesie: "Keiner erfindet das Rad neu. Auch die bei Michelin machen nur immer wieder gute und immer bessere Reifen. So machen das auch die Lyriker."

Dieselbe Trockenheit und Bodenständigkeit bewies die quirlige Autorin auch heute. "The point ist not the point. The point is poetry", kommentierte sie ihren Sieg trotz sichtlicher Rührung. "Die außerkörperliche Erfahrung", hier zu lesen und zu gewinnen, sei "ein bisschen zu groß, um menschlich zu sein". Man bringe einen Text mit, der auf intime Weise entstanden sei, und erlebe "eine Operation am offenen Herzen. Aber wir Autoren leben von der Aufmerksamkeit und davon, das man sich an mich erinnert. Ich danke herzlich jedem, der es mir gönnt." Denn durch ihren Sieg seien andere, die es ebenso verdient hätten, leider nicht zum Zug gekommen.

Ein sympathischer Zug einer sympathischen Siegerin. Und nicht nur in Klagenfurt, auch auf der Uni in Bamberg wird heute noch viel gefeiert werden. Dort haben sie in diesem Jahr nämlich ein Public Viewing des Bachmann-Preises gemacht. Es hat sich ausgezahlt.

(Schluss) whl