Während der Sommer richtig in Fahrt kommt, zeigt die Kunsthalle Wien ihre kalte Schulter: In einer "Beton" betitelten Schau wird der Baustoff auf vielfältige Weise in Szene gesetzt. Dieses "simple, aber überaus innovative Material" trägt für Direktor Nicolaus Schafhausen "die Gegenwart wie kaum etwas anderes". Bis 16. Oktober sind die unterschiedlichen Zugänge von rund 30 Künstlern zu sehen.

So stößt man gleich beim Betreten der Ausstellungshalle im Obergeschoß auf mehrere meterhohe Säulen: Die gebürtige US-Amerikanerin Jumana Manna nimmt mit ihrer dreiteiligen "Government Quarter Study" auf den norwegischen Regierungssitz in Oslo Bezug, der beim Anschlag von Attentäter Anders Behring Breivik 2011 schwer beschädigt wurde. "Davor stand das Gebäude für den norwegischen Wohlfahrtsstaat", so Kuratorin Vanessa Joan Müller bei einer Presseführung am Freitag. Nun sei es neuerlich als gesellschaftspolitisches Symbol aufgeladen, entschied sich Norwegen doch dazu, es als Monument der Erinnerung stehen zu lassen.

"Gebaute Ideologie"

Nicht nur bei diesem Beispiel zeige sich, dass Beton "immer auch gebaute Ideologie" gewesen sei und immer noch als solche gelesen werden könne, befand Müller. Allerdings geht die ab morgigen Samstag zu besuchende Schau deutlich über die reine Übersetzung architektonischer Formensprache in den Ausstellungskontext hinaus. Olaf Metzel verbindet scheinbare Leichtigkeit mit den grundsätzlichen Eigenschaften von Beton, wenn er für "Treppenhaus Fridericianum" ein aus an Eierkartons erinnernden Elementen bestehendes Wandrelief aufzieht, während Klaus Webers "Clock Rock" Beständigkeit von Stein und die Vergänglichkeit der Zeit verknüpft.

"Beton" soll keinesfalls "ein nostalgischer Blick" zurück sein, unterstrich Schafhausen. Zwar sei der preiswerte Baustoff nach dem Zweiten Weltkriegs vielfach genutzt worden, um die Lücken des Krieges zu schließen und habe die Stadtplanung zu jener Zeit "als Entwurf neuer Formen des gesellschaftlichen Miteinanders" fungiert. Aber gerade die Beschäftigung junger Künstler mit diesen Charakteristika und ihrer inhaltlichen Aufladung soll in den Fokus rücken. "Man muss das Potenzial für die Gegenwart aktivieren." Beton habe stets auch "Neues, Ungewöhnliches, Überraschendes" hervorgebracht.

Eine Frage der richtigen Stimmung

Dementsprechend werden skalierte Architekturentwürfe und Skizzen neben Dia-Installationen oder Videoarbeiten gestellt, erfüllt den Raum ein ständiger Fluss an Geräuschen - von melodiösen Einsprengseln einiger Arbeiten bis zum Grillenzirpen von David Maljkovic' "A Long Day for the Form". Nicht von ungefähr gespenstisch mutet Annette Kelms Fotoserie zum "House on Haunted Hill" an, die das von Frank Llyod Wright entworfene Ennis Haus in unterschiedlichen Stimmungen einfängt. In den 50ern und 60ern entstandene Spielplastiken des Kunst-am-Bau-Projekts in Wien holt Sofie Thorsen in die Ausstellung: Diese sind zwar heute weitgehend aus der Stadt verschwunden, Thorsen hat aber einige vorhandene Fotografien überdimensional aufgeblasen und auf einem lackierten Stahlgerüst platziert - ganz so, als ob die Spielgeräte selbst zum Hüftaufschwung ansetzen würden.

Wie viele andere Beispiele setzt auch Isa Melsheimer mit ihren Arbeiten auf den Brückenschlag zwischen Retrocharme und futuristischer Note, die Betonbauten lange gekennzeichnet hat. Ihre durchnummerierten Gouachen stellt überdies der strengen Kühle einiger Entwürfe dank ausschweifender Farbgebung einen optimistischen Touch gegenüber. Begleitet wird "Beton" von einem umfangreichen Begleitprogramm, das neben Diskussionsrunden und thematischen Führungen auch den Besuch eines Zementwerks beinhaltet.