Wilderer, Jäger, Schmuggler, Landstreicher, Prostituierte und Landärzte - sie und andere Randgruppen sowie die Bauern in Österreich und Siebenbürgen und der Adel zogen das Interesse des Wiener Soziologen Roland Girtler auf sich. Seine anschaulichen Studien trafen auf großes Interesse einer breiten Öffentlichkeit.

Heute wird der Feldforscher, der seit jeher das Fahrrad zu seinem liebsten Fortbewegungsmittel zählt und Autor zahlreicher Bücher ist, 75 Jahre alt. Als "Poet" bezeichnete einst Publizist Günther Nenning den Feldforscher, denn seine Themen seien "hochpoetisch".

Gegner der "Verandasoziologie"

Sein Metier, die Soziologie, bezeichnet Girtler selbst gerne als Abenteuer, für das er auch immer wieder auf die Straße wie auf Reisen ging. Sich selbst sieht er als "Eroberer fremder Welten - aber nicht im bösen Sinn".
So kam er per Autostopp bis Istanbul, durchquerte Griechenland zu Fuß und fuhr mit dem Rad bis Paris und über die Pyrenäen.  Eine theorielastige und
praxisferne "Verandasoziologie" hat er immer vehement kritisiert.

Dabei sieht sich der Soziologe "nicht nur als Randkulturen-Forscher". Ihn interessiere die Vielzahl an Kulturen in einer Gesellschaft, man müsse nur das Fremde in der eigenen Kultur suchen. Und da gibt es genug zu entdecken, wie seine jüngsten Bücher zeigen, etwa das zum 250. Prater-Geburtstag erschienene "Wiener Wurstelprater" mit seiner "bunten Welt der Schausteller und Wirte".

Begegnung im Krankenhaus

Obwohl Girtler 1941 in Wien geboren wurde, liegen seine Wurzeln in Oberösterreich. In Spital am Pyhrn wuchs er als Sohn eines Landarztes und einer Landärztin auf und besuchte das humanistische Gymnasium im Kloster Kremsmünster. Diese Schulzeit in Kremsmünster stand auch im Mittelpunkt seines Buches mit dem Titel "Die alte Klosterschule - Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen".

Girtler begann auf Wunsch des Vaters ein Jus-Studium, das er aber nach zwei Staatsprüfungen an den Nagel hängte: Nach einem schweren Unfall lernte er auf seinem Zimmer im Krankenhaus einen Zuhälter kennen. Girtler war von den Gesprächen mit dem Strizzi derart fasziniert, dass er postwendend die Studienrichtung wechselte, über Völkerkunde und Urgeschichte verschlug es ihn zur Soziologie.

Durch seinen Zimmergenossen im Krankenhaus kam er auch erstmals in Kontakt mit der Gaunersprache, dem "Rotwelsch", dem Roland Girtler eines seiner populärsten Bücher widmete. Äußerst hilfreich für seine Studien waren ihm nicht zuletzt diverse Ferienjobs und Tätigkeiten zum Gelderwerb. So arbeitete er als Bierausführer, Gemüselieferant, "Sacklpicker" oder Filmkomparse.