Keine Außeneinflüsse, sich ganz auf das eigene Gespür verlassen: Die britische Band Editors hat für ihr kürzlich erschienenes, fünftes Album "In Dream" Abgeschiedenheit gesucht und gefunden. An einem "abgelegenen Ort in Schottland" sind die Songs entstanden, wie Sänger Tom Smith erzählte. Mit dem neuen Material hat die Gruppe am Sonntag ein fulminantes Wien-Konzert gespielt.

Es hat sich viel getan im Hause Editors in den vergangenen Jahren: Nachdem Gitarrist Chris Urbanowicz die Band verlassen hat, wurde "The Weight of Your Love" (2013) zu einem kleinen Neuanfang für die 2002 gegründete Formation. Das Line-up wurde um Justin Lockey und Elliott Williams ergänzt, die davor eingeschlagene, elektronischere Ausrichtung zugunsten der Gitarren wieder zurückgeschraubt. "Wir haben uns neu kennengelernt", so Smith im APA-Interview. "Und jetzt fühlt es sich an wie Phase zwei von Editors."

Diese hat man nun genutzt, um sich frei zu spielen. "In Dream" scheint alle bisher angeschnittenen Stile der stets mit einer unterkühlten Ästhetik agierenden Band aufzubieten und geht doch eigene Wege. Der Opener "No Harm" evoziert melancholisch-düstere Bilder durch ausufernden Synthie-Einsatz, mit "Forgiveness" wildert man gekonnt in der Pop-Kiste der 80er-Jahre und "Salvation" stampft und brodelt, zappelt und zuckt, dass es eine Freude ist. "Als kreatives Vehikel ist diese Band eigentlich wieder in einem Frühstadium, es fühlt sich sehr frisch an", betonte Smith.

Das merkte man auch im Gasometer: Hier war nichts in totgelaufenen Strukturen erstarrt, sondern gingen professionelle Routine und Spielwitz Hand in Hand. Besonders der hagere Smith verstand sich als Frontmann, der ohne große Zwischenworte, dafür mit umso größerer Stimme und exaltierter Bühnengestik das Publikum zu begeistern wusste. Zudem hatte man eine mehr als ansprechende Auswahl in petto, die von New-Wave-Verbeugungen ("Munich") über Discokeulen ("Papillon") bis zu geradlinigem Rock ("Sugar") keine Wünsche offen ließ.

Und doch: Es waren besonders die neuen Stücke, die das Quintett in schillernden Farben zeichnete - trotz der ewig mit den Editors in Verbindung gebrachten dunklen Grundstimmung. "Wir sind recht furchtlos, was das Verlassen unserer Komfortzone anbelangt", wusste Smith zu berichten. Das bedeutet allerdings nicht, dass man sich auf humoristische Einlagen gefasst machen muss. "Viele Leute wären zwar überrascht, wie viel wir lachen. Wir sitzen ja nicht den ganzen Tag rum und brüten über Joy-Division-Songs", schmunzelte der Sänger. "Aber in der Musik habe ich nie wirklich Raum für Humor gefunden."

Braucht es auch nicht und wäre zwischen Songs wie "Eat Raw Meat = Blood Drool" oder dem wunderbar eingängigen "An End Has a Start" Fehl am Platz. Wobei man sich keinesfalls auf den Lorbeeren ausruhen wolle. "Wir haben bisher immer versucht, Neues auszuprobieren. Und anstatt wie sonst in Birmingham an den Fragmenten zu arbeiten, suchten wir uns diesesmal für die Songideen eben einen Ort, wie wo wir schlafen und unser Equipment aufbauen konnten, wo wir nicht abgelenkt wurden." So wurden die Musiker letztlich zu Produzenten und übernahmen selbst diese Aufgabe.

"Das war kein Plan von vornherein. Aber der stilistische Ansatz, die Keyboards, der Klang des Raumes und der Blick aus dem Fenster: Es ist am Ende einfach alles zusammengekommen und hat gepasst", erinnerte sich Smith. "Und damit gab es auch niemanden, auf den wir uns rausreden konnten", pflichtete ihm sein Bandkollege, Bassist Russell Leetch, grinsend bei. "Wir waren selbst für alles verantwortlich, und meist ist das der beste Weg. Ein Produzent vermittelt ja oft zwischen den Bandmitgliedern und schaut darauf, dass etwas weiter geht. Wir sind aber alt genug, das selber zu machen. Es war ein glücklicher Zufall, könnte man sagen."

Die Reduktion auf das Wesentliche war es auch, die dem etwas mehr als eineinhalbstündigen Auftritt in Wien das gewisse Etwas verlieh. Keine große Show, keine überbordenden Lichteffekte, sondern die Konzentration auf die Stücke und das Zusammenspiel der Musiker waren hier der Star. Folglich wurde "A Ton of Love" an die Editors gleichermaßen zurückgegeben und die Band vom Publikum ausgiebig für ihre Darbietung gefeiert.

CHRISTOPH GRIESSNER/APA