Die Überraschung war diesmal zwar nicht so groß wie im Vorjahr beim französischen Schriftsteller Patrick Modiano, umso einhelliger fielen allerdings die Reaktionen aus. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels etwa würdigte die neue Literaturnobelpreisträgerin als große Erzählerin und Chronistin. "Sie setzt in ihrem Werk auf das Wort und die Freiheit und nutzt ihre schriftstellerische Kraft selbstlos und mutig, um den stumm gemachten und vergessenen Menschen eine Stimme zu geben", so der Vorsteher des Dachverbands der Buchbranche, Heinrich Riethmüller.

Der Literaturkritiker Volker Weidemann nannte ihre Kür "eine ideale Wahl", Kollege Denis Scheck nannte sie eine "Jägerin des verlorenen O-Tons der Geschichte". Das Internationale Auschwitz Komitee würdigte sie als "herzliche und mutige Kämpferin für die Menschen, die autoritäre Regime hinter sich zurücklassen". Ex-Hanser-Chef Michael Krüger fasste zusammen: "Sie wird eine große Ikone der Widerstandsbewegung werden."

Alexijewitsch selbst freute sich über die große Ehre: "Das ist ganz groß, diesen Preis zu bekommen", sagte sie dem schwedischen Fernsehsender SVT nach der Bekanntgabe. Sie ist die 14. Frau, die den seit 1901 vergebenen Preis, der diesmal mit acht Mio. Schwedischen Kronen (rund 860.000 Euro) dotiert ist, in Empfang nehmen darf. Als einstige Journalistin greift sie seit nunmehr fast vier Jahrzehnten mit dokumentarischer Präzision auf, woran Menschen leiden und oft zerbrechen: Katastrophen, Krieg und Diktatur.

Mit Verspätung hat der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko der neuen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch gratuliert. "Ich freue mich aufrichtig über Ihren Erfolg", erklärte der autoritär regierende Staatschef am Donnerstagabend in Minsk. "Ich hoffe sehr, dass Ihre Auszeichnung unserem Staat und unserem weißrussischen Volk dienen wird."

Die Schriftstellerin engagiert sich für Menschenrechte und kritisiert offen die autoritären Regierungen in der Ex-Sowjetunion. "Ihr Schaffen hat nicht nur Weißrussen, sondern auch Leser in vielen Ländern der Erde nicht gleichgültig gelassen", schrieb Lukaschenko.

Schon vorher hatte in Russland Kreml-Sprecher Dmitri Peskow reagiert. Natürlich gratuliere man Alexijewitsch zum Nobelpreis, sagte er, kritisierte aber zugleich Äußerungen von ihr zur Ukraine. "Es sieht ganz so aus, als habe Swetlana nicht alle Informationen, um positiv das einschätzen zu können, was in der Ukraine passiert", sagte Peskow nach Angaben der Agentur Interfax. Alexijewitsch hatte das Vorgehen Russlands in der Ostukraine als Okkupation bezeichnet.

Geboren wurde Alexijewitsch als Tochter eines Journalisten und einer Lehrerin am 31. Mai 1948 im westukrainischen Stanislaw (heute Iwano-Frankowsk). Nach dem Journalistikstudium arbeitete sie zunächst bei einer Lokalzeitung sowie als Lehrerin, geriet aber auch damals schon mit den Sowjetbehörden in Konflikt. Ihre Arbeit als Journalistin verlor sie, als sie in den 1980ern in dem Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" mit dramatischen Erinnerungen von Frauen angeblich das Andenken des Zweiten Weltkrieges beschmutzte.

In weiterer Folge setzte sie nicht nur dem Afghanistan-Krieg der Sowjetunion ein literarisches Zeugnis mit dem Buch "Zinkjungen" (1989), sondern gab auch Strahlenopfern nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl von 1986 eine Stimme. "Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft" heißt die Arbeit, die 2011 mit einem aktuellen Vorwort aus Anlass der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima neu erschien. Im Westen erregte sie etwa mit ihrem 500-seitigen Opus-Magnum "Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus" Aufsehen, das 2013 bei Hanser erschien. Psychologisch einfühlsam stellt das Buch anhand einzelner Menschenleben den bisher wohl umfassendsten Versuch dar, die Epoche der Sowjetunion und die Folgen ihres Zusammenbruchs emotional begreifbar zu machen.

Der Nobelpreis ist nunmehr die Krönung eines vielfach ausgezeichneten Werks: So erhielt die Weißrussin bisher u.a. den Tucholsky-Preis des Schwedischen PEN (1996), den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (1998), den Preis "Das politische Buch" der Friedrich-Ebert-Stiftung (1998), den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück (2001), den National Book Critics Circle Award (2006), den polnischen Ryszard-KapuÅ›ciÅ„ski-Preis (2011), den mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus (2011) sowie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2013).