Heute Abend feiert Ihr mit Jugendlichen erarbeitetes Stück „Politeia“ im Grazer Theater am Ortweinplatz (TaO!) Premiere. Im Untertitel heißt es: „Gerechtigkeit ist ein Schwein mit gebrochenen Flügeln.“ Das klingt jetzt nicht gerade optimistisch.
SIMON WINDISCH: Naja, das Schwein hat noch Füße (lacht). Das Stück basiert auf unserem im Vorjahr begonnenen Rechercheprojekt zu „Jugendliche und Politik“,; aus dem auch unsere theatrale Performance-Band „Sozialistische Eingreif Druppe“ hervorgegangen ist. Die Frage lautete: Was passiert, wenn man Grazer Gymnasiasten – großteils aus der Mittelschicht – mit den großen Ideologien der Politikgeschichte konfrontiert.


Und? Was passiert?
WINDISCH: Das große Pathos der Ideologien ist weg. Sie treffen sich nicht mehr in Lesezirkeln, um „Das Kapital“ zu lesen.

Politik als verstrickte Angelegenheit
Politik als verstrickte Angelegenheit © TaO!/Clemens Nestroy


Politikverdrossenheit zählt zu den Lieblingswörtern der Jugendkulturforscher. Hat die Jugend tatsächlich von Politik die Nase voll?
WINDISCH: Alle Jugendlichen kennen den Begriff der Politikverdrossenheit. Niemand hingegen kennt den Vizekanzler. Viele sind zwar mit politischer Bildung konfrontiert, aber nicht mit Realpolitik. Ein „fleischlich-ästhetischer“ Zugang dazu fehlt den meisten. Aber was gibt es denn jenseits des Kabaretts über Politik zu sagen? Es ist leicht, sich über Politiker lustig zu machen. Eines haben viele erfahren: Dass die Politik selten sie meint, wenn sie Pläne verfolgt und Ziele setzt. Wir probieren andere Zugänge aus.


Nämlich?
WINDISCH: Wir fragen zum Beispiel: Was sind die großen Symbole der Demokratie – angefangen bei ihrem großen, archaischen Entstehungsmythos? Wir improvisieren viel.


Was darf man sich vom Bühnenstück „Politeia“ erwarten?
WINDISCH: Eine didaktisch pädagogische Tour de Force. Eine Explosion der Symbole – und vielleicht einen Bundesadler. Jugendliche sind mit 15 heute bis oben vollgefüllt mit pädagogischen Konzepten und können aus dem Stand 20 Methoden aufzählen, wie man sich am besten motiviert, ein Buch bis zum Ende zu lesen oder Ähnliches. Auf diesem Gebiet sind sie wahre Experten.


Unter Erwachsenen existieren viele Vorurteile über die Jugend: zu selbstbezogen, zu spießig, zu unambitioniert. Wie erleben Sie denn die 13- bis 18-Jährigen?
WINDISCH: Was ich noch nicht erlebt habe, ist jemanden, dem die Welt und die Gesellschaft völlig egal sind. Mein Eindruck ist: Jeder versucht, sich auf individuellen Wegen durchzuschlagen. Und dabei ist es für die meisten unvorstellbar, dass es ein alternatives politisches System gibt. Das kennen sie nicht – und auch nicht das Dagegenstemmen.


Kann man Jugendlichen im Theater jedes Thema zumuten?
WINDISCH: Ja, wenn es für sie von Interesse ist und wenn man ehrlich mit ihrer Sicht umgeht und sie ernst nimmt. In der Arbeit mit ihnen muss man versuchen, an ihre Perspektive anzuknüpfen. Das erfordert auch, sie als Experten im Bereich ihrer Weltwahrnehmung zu akzeptieren.


Mit einigen Ihren Darstellern arbeiten Sie schon sehr lange. Einer erzählte mir einmal, er werde nie freiwillig vom TaO! gehen, man müsse ihn schon rauswerfen.
WINDISCH: Deswegen gibt es nun auch Kurse für Erwachsene (lacht). Mein Regieassistent bei „Politeia“, Moritz Ostanek, spielte, als er zwölf oder 13 Jahre alt war, bei meiner ersten Inszenierung am TaO! „Das heilige Kind“ die Hauptrolle. Es ist schön, den Generationenwechsel zu erleben.