Pünktlich zum Start des Oktoberfests strahlt ORF 2 heute den "Tatort"über die Wiesn aus. Es ist der dritte Fall für den österreichischen Regisseur Marvin Kren und der 70. Einsatz für die "Tatort"-Routiniers Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl. Gedreht wurde der Krimi im Vorjahr auf der Wiesn, für einige Drehszenen im Zelt waren kurz vor der Eröffnung bis zu 600 Komparsen engagiert. Kren holte sich während des Drehs ein blaues Auge - von einem Gast. "Berufsrisiko", meint der 35-Jährige.

Ist "Die letzte Wiesn" nun eine Hymne an oder eine Abrechnung mit dem Münchner Oktoberfest?
MARVIN KREN: Die Münchner altern mit dem Oktoberfest: Erleben ihre erste Liebe, ihre ersten Räusche und Raufereien. Es ist ein tolles, individuelles Fest - so weit die Hymne. Es ist aber auch Abrechnung, weil alles, was übertrieben ist, kritisch beäugt werden muss. Es geht um einen kollektiven Zustand von Vergiftung: Sei das Gift nun Alkohol, GHB (Liquid Ecstasy) oder Vergnügungssucht. Zugleich zeigt es München im Ausnahmezustand.

Waren Sie selbst davor schon einmal dort?
KREN: Nein.

Nach den Erfahrungen: Werden Sie noch einmal hingehen?
KREN: Das kann ich mir gut vorstellen, warum nicht?

Gibt es das "Amperbräu", das im Krimi zu sehen ist, wirklich?
KREN: Der Name ist erfunden. In welchem Zelt wir gedreht haben, darf ich nicht verraten. Aber der erfahrene Wiesn-Besucher wird erkennen, wo das ist.

Es ist Ihr dritter "Tatort". Haben Sie nun schon eine Routine im Krimifach entwickelt?
KREN: Dieser "Tatort" ist mir am leichtesten von der Hand gegangen. Erstens: weil das Buch weniger komplex ist als bei den anderen beiden Fällen. Zweitens: weil die Ermittler extrem routiniert sind. Mit denen kannst du spielen wie mit einer gut eingespielten Band. Es war die fünfte Arbeit mit meinem Kameramann Moritz Schultheiß - wir haben aber festgestellt, dass Routine der größte Kreativitätskiller sein kann.

Sind weitere TV-Fälle geplant?
KREN: Drei "Tatort"-Fälle in eineinhalb Jahren, das war schön und gut, aber jetzt kann die Titelmelodie auch einmal pausieren.

Bereits abgedreht ist Ihr historisches TV-Event "Berlin Eins" für Sat. 1 mit Tobias Moretti und Emilia Schüle. Worum geht's?
KREN: Der Film spielt im Berliner Gangster- und Thrillermilieu der 1920er-Jahre. Erzählt wird die Geschichte eines Kommissars, der einer kriminellen Vereinigung hinterherjagt. Es entwickelt sich daraus eine persönliche Rachegeschichte. Wir versuchen, von einem unpolitischen Berlin vor der Nazizeit zu erzählen. Von Cops gegen Gangster.

Marvin Kren (Mitte) bei den Dreharbeiten des Münchner
Marvin Kren (Mitte) bei den Dreharbeiten des Münchner "Tatorts" © Bayern

Was macht für Sie den Reiz von Historien-Projekten aus?
KREN: Die Amerikaner lieben den Wilden Westen, die Deutschen und Österreicher die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte. Ich denke, dass die Reflexion über die DDR oder das Dritte Reich erst der Beginn sind und die Themen künftig viel weiter zurückreichen werden. Denken Sie nur an die Kaiser! Wir haben ja eine aufregende, tragische Geschichte. Man muss sich dem Stoff nicht bierernst nähern, sondern kann das, ähnlich wie Tarantino, auch spielerischer machen.

Entstehen fürs Fernsehen derzeit die spannenderen Filme als fürs Kino?
KREN: Fernsehen ist beweglicher als das Kino. Die Deutschen sind derzeit sehr aktiv und es gibt Geld. Das "Großmutter-TV", das uns alle ein bisschen gelangweilt hat, dazu zähle ich auch ältere "Tatort"-Folgen, sind am Aussterben. Die Rundfunkanstalten begreifen, dass sie moderner werden müssen, um nicht noch mehr junge Leute zu verlieren.

Den Durchbruch hatten Sie 2010 mit dem Horrorfilm "Rammbock", der im Auftrag der ZDF-Reihe "Das kleine Fernsehspiel" entstanden ist. Wäre so eine Karriere in Österreich auch möglich gewesen?
KREN: Nicht ohne Grund habe ich Österreich verlassen, um nach Deutschland zu gehen. Dort ist es wegen der Größe einfacher, Fuß zu fassen. Aber die deutschen Produzenten und Redakteure verehren das österreichische Fernsehen wegen David Schalkos Serien oder der Landkrimis. Die finden das expressiv Vulgäre sehr mutig. Ich würde auch wieder einmal gerne hier etwas machen.