Vier Töne hörte David Gilmour, als er auf dem Bahnhof von Aix-en-Provence auf den Zug wartete. Vier Keyboardtöne aus den Händen eines Sounddesigners, die jeder Ansage der französischen Bahn SNCF vorausgehen. "Jedes Mal, wenn ich sie höre, würde ich am liebsten lostanzen", sagt der Musiker, der in mehr als vier Jahrzehnten Pink Floyd Weltruhm als Genie des epischen Monumentalrocks erlangte.

Als Tänzer ist der 69-jährige Gilmour bisher aber nie aufgefallen. Deshalb überrascht der Titeltrack seines neuen, vierten Soloalbums, des ersten seit "On An Island" 2006. Für Gilmour-Verhältnisse klingt das Stück überraschend beschwingt, fast schon tänzerisch leicht mit einem Riff, das dennoch stark an "Another Brick In The Wall Part 2" erinnert. Wofür ein Bahnhofssignal doch so alles gut sein kann.

Das letzte musikalische Lebenszeichen Gilmours ist erst ein knappes Jahr alt. Oder 20 Jahre, wie man es nimmt: "The Endless River", der musikalische Nachruf auf den verstorbenen Keyboarder und Freund Rick Wright, war in Großbritannien eines der bestverkauften Alben 2014. Es bestand aber fast vollständig aus Material des Jahres 1993. Gravitätisch klang das, wie ein Musik gewordenes Denkmal. Anschließend erklärte Gilmour die Legende Pink Floyd kategorisch für beendet.

Und er reagiert zunehmend allergisch auf das Thema: "Es macht mich krank!", sagte er gerade dem "Focus". "Schließlich wurde mir schon jede erdenkliche Frage zu der Band gestellt, und nicht nur einmal. Es ist immer dasselbe und auf Dauer schrecklich langweilig. Ganz zu schweigen davon, dass ich nicht in der Vergangenheit leben möchte, sondern im Hier und Jetzt. Pink Floyd war toll. Eine großartige Band. Nur: Es ist vorbei."

Ob damit künstlerisch eine Last von ihm abgefallen ist? Das Cover von "Rattle That Lock" jedenfalls, das teilweise daheim auf seinem Hausboot aufgenommen wurde, zeigt Vögel, die aus einem engen Käfig entkommen und gen Himmel fliegen. "Lose those chains" (Streif' die Ketten ab), singt Gilmour dazu. Ohne seinen Rucksack voller Bombast ist David Gilmour leichter und poppiger unterwegs - das passt gut zu seiner dünner gewordenen Stimme.

Und es gibt Überraschungen: In "Faces Of Stone" erklingt Gilmours Bluesgitarre im Walzertakt. Jazz-Momente gibt es dank "The Girl In The Yellow Dress". Auch das floydig-angehauchte und gleichzeitig groovige "Today" tröstet hinweg über mehrere Instrumentals ohne echte Songidee, die dem Ausfaden nach drei bis vier recht beliebigen Minuten entgegenplätschern.

MATTHIAS ARMBORST/APA