Frau Schmid, was macht Ihr Adrenalin in den ersten offiziellen Arbeitstagen?


NORA SCHMID: Es steigt, aber nur leicht. Ich hatte ja zwei Jahre Vorbereitungszeit und erlebte seit meiner Vertragsunterzeichnung im April 2013 bereits einige markante Schritte wie die Saison-Pressekonferenz. Ich bin also schon richtig reingewachsen in die Arbeit. Aber natürlich ist man gespannt, es ist ja meine erste Intendanz. Als Anfängerin habe ich übrigens vom Haus netterweise eine Schultüte bekommen.


Wie muss man sich die Programmierung einer „Erstklässlerin“ vorstellen? Nora Schmid ringt Tag und Nacht mit Nora Schmid?


SCHMID: Ja, so ungefähr (lacht). Nun, der Kulturauftrag für die Grazer Oper heißt seit jeher Vielfalt. Ein Haus wie dieses hat eben viele Interessen zu befriedigen. Mein Anspruch beim Erstellen meiner ersten Saison war allerdings auch, bewusst ein paar bunte Linien einzuziehen.


Die da sind?


SCHMID: Verdi als leuchtende Farbe darf in keiner Spielzeit fehlen; ich habe mich für „Luisa Miller“ entschieden, die in Graz erstmals gezeigt wird. Ich habe mich grundsätzlich mit der Grazer Musikgeschichte beschäftigt, also: Was hat hier noch nie oder schon lang nicht mehr stattgefunden? Richard Heuberger, dessen Operette „Opernball“ wir spielen, wurde 1850 in Graz geboren. Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“ zum Saisonstart ist die österreichische Erstaufführung. Worauf ich eher zufällig stieß: Seine Mutter stammt aus einer alten steirischen Adelsfamilie, also gibt es auch da einen Bezug.


Schreckt Schreker als Einstieg?


SCHMID: Viele nannten es – wie die ganze Saison – mutig. Finde ich gar nicht. Das Werk behandelt Themen, die uns Künstler umtreiben. Es ist eine schöne Liebesgeschichte mit schillernder Musik, ein wirklich großes Stück, das alle im Haus enorm fordert.


Der Komponist Fritz macht sich darin auf die Suche nach dem idealen Kunstwerk, er möchte eine Oper erschaffen. Sie müssen gleich ein Schüppel Bühnenwerke „erschaffen“ und stemmen. Die Intendantin als Frau Herkula?


SCHMID: Ich arbeite schon seit 1998 an Bühnen und bringe als Dramaturgin neben Leidenschaft viel Erfahrung mit. Aber jedes Haus hat natürlich eigene Gegebenheiten, Strukturen, Personal- und Budgetsituationen, auf die man Rücksicht nehmen muss. Der ganze Spielplan ist ambitioniert und bietet gute Stücke: Opulentes wie das Musical „Funny Girl“, mit dem Barbra Streisand 1969 ihren ersten Oscar gewann. Und auch Unbekanntes wie die sinnliche „Griechische Passion“ von Bohuslav Martinu.


Deren Inhalt sehr heutig ist: Türkische Flüchtlinge kommen in ein griechisches Dorf und treffen auf Widerstand, aber nicht nur . . .


SCHMID: Ja, es geht um das vermeintlich Fremde, um Fragen der Toleranz und Zugehörigkeit, der Empathie und Zivilcourage. Das Theater kann nicht immer tagespolitisch antworten, aber sehr wohl Zeitloses zur Diskussion stellen: Humanität, Respekt, Liebe natürlich – insgesamt den Umgang der Menschen miteinander. So gesehen ist Theater immer politisch und stößt Themen an.


Was ist eigentlich Ihr übergeordnetes Ziel als Intendantin?


SCHMID: Dass wir die Menschen emotional erreichen. Dass wir Lust auf Anderes wecken. Und dass wir uns noch mehr öffnen – so tritt das Orchester unter seinem Chef Dirk Kaftan erstmals beim „Aufsteirern“ auf.


Öha!


SCHMID: Keine Angst, nicht in Dirndln und Lederhosen, und die ersten Violinen werden auch nicht jodeln! Es geht uns nicht um Mainstream, nicht um nur einen einzigen Event wie die Bühnenshow am Samstag, sondern darum, in kleinen Schritten noch mehr hinauszugehen. Wir verstärken zudem unsere Vermittlungsangebote, binden vermehrt Studenten ein und bieten erstmals in Österreich – bei einer Aufführung von Rossinis „Barbier“ – sehbehinderten Besuchern eine Oper mit akustischer Bildbeschreibung. Es braucht neben dem hohen künstlerischen Niveau als Grundessenz unser aller Fantasie, denn es ist nie zu spät, jemanden für den Zauber Oper zu gewinnen.


Zum Schluss noch: Was geht Ihnen als „Zuagraste“ in Graz ab?


SCHMID: Dass es keinen Fluss, keinen See in der Nähe zum Baden gibt, also natürliches Gewässer.


Und was haben Sie in Graz schon schätzen, lieben gelernt?


SCHMID: Spontane Begegnungen mit Leuten, die mich als neue Intendantin auf nette Art ansprachen und mir Glück wünschten. Graz hat als Stadt eine gute Größe, und ich habe bereits ein Gefühl für sie bekommen. Schön ist es auch, dass man in der Steiermark so fein wandern und bergsteigen kann – auf dem Schöckl etwa oder im Ausseerland.
Die Schweizer Gene!
SCHMID: Das ist vielleicht ein Klischee, aber ja, doch: Wenn ich ins Berner Oberland schaue – das ist schon ein Gefühl von Heimat.

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA

ERÖFFNUNGSSHOW

Organist Cameron Carpenter
Organist Cameron Carpenter © KK/www.cameroncarpenter.com

OPERNSAISON 2015/16

Chefdirigent Dirk Kaftan
Chefdirigent Dirk Kaftan © Kmetitsch