Viggo Mortensen ist ein Star - allerdings als einer, der seine Qualitäten nicht mit Rummel unterstreicht, sondern mit Schauspiel. Intensiv und mit ungeheurer Präsenz stellt er seine Charaktere dar. Ab kommendem Freitag (11.9.)  ist der 56-jährige amerikanisch-dänische Schauspieler im Western "Den Menschen so fern" nach einer Novelle von Albert Camus in den Kinos zu sehen.

Der einsam in den algerischen Bergen lebende Franzose Daru wird darin mit dem Schicksal eines muslimischen Mörders konfrontiert. Während ringsum der Unabhängigkeitskrieg entbrennt, treten die Männer eine gefährliche Reise durch das Gebirge an. Auf dem Filmfest München erzählte Mortensen im Interview der dpa von Einsamkeit, Sprachlosigkeit und seinem Lieblings-Shirt.

"Den Menschen so fern" spielt in einer kargen, menschenleeren Gebirgsgegend. Wie empfinden Sie solche Landschaften?

Viggo Mortensen: Ich fühle mich sehr wohl. Jeder ist anders, aber ich habe kein Problem damit, allein zu sein. Ich mag es, wenn auch nicht die ganze Zeit. Aber Stille und Isolation machen mir nichts aus, ich genieße das, ich brauche es sogar. Wenn ich mich nicht jeden Tag ein bisschen zurückziehen kann, fühle ich mich unwohl.

Im Kern geht es um zwei Menschen, die einander fremd sind, sich aber aufgrund der Umstände annähern. Diese Angst vor dem Fremden liegt auch vielen aktuellen Konflikten zugrunde. In welcher Hinsicht ist "Den Menschen so fern" ein moderner Film?

Mortensen: Es geht um eine unerwartete Beziehung zwischen einem muslimischen Araber und einem Mann aus der christlich-europäischen Welt. Da steckt viel drin. Man kann darüber nachdenken, was im Mittleren Osten geschieht, in Israel, in Europa. Es geht um die unterschiedlichen Ansichten und die Auseinandersetzung über Flüchtlinge, über kulturelle Assimilation. Das gehört zu den wichtigsten aktuellen Themen, abgesehen vom Klimawandel. Der Film bietet genug Futter zum Nachdenken.

Sehen Sie das Grundproblem vieler aktueller Konflikte darin, dass die Menschen zu wenig in Kontakt kommen?

Mortensen: Sie wollen nicht mal miteinander reden, das ist das Problem. Man muss sich einander zuhören und sich zusehen. Man muss sich nicht gleich anfreunden. Aber man sollte einen Weg finden, miteinander zu leben, trotz der Gegensätze. Vielleicht verändert man sich auch, wenn man sich wirklich zuhört. (...) Daru lernt von Mohamed, und es gibt Dinge, die Mohamed von Daru lernt, nur weil sie Kontakt haben und miteinander reden.

Wir wird es mit dem Zustrom der Flüchtlinge Ihrer Ansicht nach weitergehen?

Mortensen: Die Leute kommen, bis es keine Jobs mehr gibt, dann gehen sie woanders hin. Dieses Argument, man müsste die Einwanderung nach Großbritannien, Deutschland oder Spanien begrenzen, ist absurd. Die Menschen gehen dahin, wo die Arbeit ist. Genauso wie in den USA. Das ist normal. Vor zehn Jahren kamen die Leute aus Südamerika nach Spanien. Seit der Krise in Spanien 2008 gehen viele aus Bolivien, Ecuador, Peru und Argentinien zurück nach Südamerika. All diese Diskussionen über Grenzkontrollen, Einwanderungskontrollen oder Quoten sind Blödsinn. Und Camus hat das genauso gesehen: Geht über Grenzen und findet einen Weg, mit den Leuten zu reden. Italien, Spanien, Frankreich und Nordafrika waren für ihn wie eine Nation, er sah keinen Grund für Grenzen.

Was halten Sie von Papst Franziskus, der bei Themen wie Armut, Flüchtlingselend und Klimawandel immer wieder deutlich seine Stimme erhebt? Immerhin haben Sie mit ihm etwas gemeinsam: Ihre Leidenschaft für den Fußballklub San Lorenzo in Buenos Aires.

Mortensen: Es ist überraschend, dass ein Papst diese Äußerungen macht. Es gab andere wie Papst Johannes XXIII., in den 1960ern, der einige Schritte machte. Aber keiner hat gesagt, was Papst Franziskus gesagt hat. Seine Äußerungen zum Klimawandel sind das Wichtigste, was er bisher getan hat. Auch was er über Homosexualität oder Missbrauch in der Kirche gesagt hat, hat große Bedeutung, ebenso wie seine Kritik am Raubtierkapitalismus der Unternehmen und an den Unterschieden zwischen Reich und Arm. Aber der Klimawandel ist das Wichtigste. Wenn wir keinen Planeten haben, spielen all diese Dinge keine Rolle mehr. Wir sind wie kleine Ameisen. Wenn die Erde weg ist oder wir dort nicht mehr leben können, gibt es auch keine Ameisen mehr.

Interview: Cordula Dieckmann/APA

ZUM FILM

Viggo Mortensen in
Viggo Mortensen in "Den Menschen so fern" © Filmladen

Zwei Menschen, verloren in der kargen Landschaft des Atlas-Gebirges. Der eine ein Mörder, dem der Prozess gemacht werden soll. Der andere ein französischer Lehrer, der den Muslim in die nächste Stadt vor Gericht bringen soll. Es ist das Jahr 1954. Ab kommendem Freitag (11.9.) ist dieses psychologische Brennglas mit "Den Menschen so fern" im Kino zu sehen.

Während in Algerien ein Unabhängigkeitskrieg entbrennt, gehen die Männer auf eine gefährliche Reise. Auf ihrem Weg über scharfkantige Felsen und durch weite Wüsten lernen sie sich kennen - und verstehen. "Den Menschen so fern" beruht auf der Novelle "Der Gast" von Albert Camus und ist ein eindringlich und poetisch inszeniertes Drama im Stile eines Western, mit atemberaubenden Bildern und hervorragend gespielt von Viggo Mortensen in der Rolle des Lehrers Daru und Reda Kateb als Mörder Mohamed. Nicht nur wegen der vielen Krisengebiete ein höchst aktueller Film.

Daru kann es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, Mohamed den Henkern zu übergeben. Denn der Mord geschah aus purer Not. Doch Mohamed will sich fügen und hat gute Gründe dafür, die Daru aber nicht versteht. Bald geraten die Männer zwischen die Fronten des Krieges. Daru fühlt sich heimatlos. Er ist in Algerien aufgewachsen, dort sind seine Wurzeln. Doch bald ist dort vielleicht kein Platz mehr für ihn, weil er Franzose ist. Der Film verdeutlicht das in einer Szene, in der die Männer von Rebellen gefangen genommen werden. Einer der Kämpfer ist ein alter Freund des Lehrers: "Daru, ich liebe dich wie einen Bruder. Aber wenn ich dich morgen töten muss, werde ich es tun."

Menschen, die einander nah und doch so fern sind - Regisseur David Oelhoffen unterstreicht dies mit der poetischen Musik der Australier Nick Cave und Warren Ellis. Und mit wunderschönen, leinwandgroßen Aufnahmen der Berge und ihrem Spiel aus Licht und Schatten. Darin Menschlein, die wie Ameisen ihren Weg suchen und in all der Kargheit nur noch ihre pure Existenz und die Menschlichkeit besitzen. "Es war eine Art, die Absurdität des Krieges zu unterstreichen", sagte Oelhoffen kürzlich auf dem Filmfest München.

"Man hat das Gefühl, dass es der Landschaft völlig egal ist, dass diese Leute sich darauf vorbereiten, sich gegenseitig zu töten. (...) Diese Absurdität und die Schwierigkeiten sind Teil der Reise dieser Männer. (...) Der einzige Schutz ist die Hilfe, die sie sich gegenseitig geben können." Doch diese Nähe sei schwer zu erreichen - und zu erhalten. "Brüderlichkeit ist wie ein Kartenhaus, es kann zusammenbrechen, sehr schnell und sehr leicht."