"Spannend, abgründig, aufwühlend - 1000 Seiten Setz", so kündigt der Suhrkamp Verlag das neue Buch des Grazers Clemens J. Setz an, das am 7. September erscheint. "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" ist bereits für den Deutschen Buchpreis nominiert. Mit der APA sprach der 32-jährige Autor über sein Mammutprojekt, seine Erfahrung in Behinderten-Heimen und seinen Buchpreis-Favoriten.

Herr Setz, Ihr letztes Buch "Glücklich wie Blei im Getreide" war ein schmales Bändchen. Nun folgt ein wahrer Wälzer. Wenn man so ein Projekt beginnt, weiß man dann schon, dass es quantitativ in diese Richtung geht?

Clemens J. Setz: Man ahnt es vielleicht und fürchtet es. In diesem Fall war die Entstehung so vielarmig, wie es die Arme eines Flusses sind - mit so vielen Zuflüssen, dass man das erst nach einer Weile, aber dann mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte. Es gab anfangs viele verschiedene Dinge, und dann habe ich geschaut, dass sie zusammenpassen.

Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Setz: Ein ganzes Jahr habe ich jeden Tag viele Stunden daran gearbeitet. Das war die intensivste Zeit. Vorher gab es über ein Jahr an Skizzen, Entwürfen und Vorarbeiten und danach über ein Jahr des Umbauens, Umformulierens und Umbastelns. Insgesamt ungefähr vier Jahre.

Das ist nicht nur für den Autor ein Kraftakt, sondern auch für den Leser. Der fragt sich manchmal: Muss das so lang sein?

Setz: Diesmal ja. Ich könnte den Vorwurf bei dem Buch "Die Frequenzen" verstehen, das war voller Abschweifungen, viele Dinge, die mir gefallen haben und die ich einfach reingetan habe. Diesmal ist es eigentlich nicht unökonomisch erzählt. Es gibt schon auch Zoom-Kapitel, bei denen in etwas hineingezoomt wird, aber es gibt eigentlich nichts, das ein Fremdkörper ist. Es ist eigentlich alles im Dienst der Geschichte. Die braucht einfach im Mittelteil eine gewisse Länge, um etwas zu verdeutlichen, nämlich eine brutale Art, immer wieder in den Alltag zurückzukehren. Es passieren grauenhafte Dinge, es geht aber immer weiter. Das kann man nicht in einer Novelle zeigen. Mir kommt vor, es ist nicht zu lang.

Es ist jedenfalls keine Lektüre für zwischendurch.

Setz: Wenn jemand lange Bücher nicht mag, kann ich ihm auch nicht sagen, dass er unrecht hat. Wenn jemand sagt, ich lese lieber Tweets oder Gedichte oder kurze Erzählungen, ist es auch okay. Ich glaube aber, dieser Roman ist leichter zu lesen als alle meine anderen Bücher - weil es ist eine chronologische Geschichte mit einer Hauptfigur ist, keine Sprünge, hin und da Rückblenden, die aber dramaturgischen Sinn haben. Mir scheint das leichter lesbar. Natürlich muss man mir das jetzt einmal einfach glauben und selbst überprüfen.

Thematisch scheint das Buch an "Indigo" anzuschließen. Es spielt wieder in einem Heim, es geht diesmal nicht um Kinder mit besonderen psychischen und spirituellen Eigenschaften, sondern um Menschen mit Handicaps, aber wieder um rätselhafte Vorgänge in der menschlichen Psyche. Ist das Ihr Hauptthema?

Setz: Ich glaube, Autoren denken generell nicht viel über Themen nach. Manchmal hat eine Figur ein Thema, an dem sie sich abarbeitet. Aber sonst denkt man eher an die kreative Vertreterschaft gegenüber den Figuren, die man auf Erden bekleidet. Wie der Papst. Gott ist ja auch imaginär - jedenfalls in meinem Weltbild ist es so, dass man sich ihn erfindet. Ich erfinde mir halt Figuren, imaginäre Freunde. Und bin dann deren Vertreter auf Erden. Ich bin deren Papst sozusagen. (lacht)

Ihre Hauptfigur Natalie Reinegger arbeitet als Betreuerin in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Haben Sie nicht selbst als Zivildiener in einer ähnlichen Einrichtung gearbeitet?

Setz: Das stimmt, ein Jahr war ich im Odilien-Institut Graz, ein Institut hauptsächlich für Menschen mit Sehbehinderungen. Der Roman ist allerdings kein Porträt davon, aber er basiert grundsätzlich auf dieser Erfahrung und der Einsicht in die Abläufe. Dort gibt es eine Schule, eine Bibliothek, ein Internat, ein betreutes Wohnheim und Werkstätten. Ich war dort eigentlich in jeder Einrichtung, auch im Altersheim. Jetzt war ich in einer Situation, mit genügend Abstand auf das zurückschauen zu können. Es war damals sicher eine sehr intensive Zeit. Auch weil ich Menschen gesehen habe, die eine völlig andere Welt haben - Betreuer wie Klienten. Die Betreuer haben etwa diese betont sanfte, nicht konfrontative Kommunikation und können dennoch irre Machtkämpfe austragen.

Auch in Ihrem Roman gibt es keine Unterscheidung von normal und abnormal.

Setz: Das ist ja eine Sache, die mittlerweile die meisten so sehen. Das Internet hat etwa zur Folge, dass man weiß, dass man nicht alleine ist mit seinen Idiosynkrasien und Merkwürdigkeiten. Was ist schon normal? Vielleicht T-Shirts. Normal gibt's wahrscheinlich gar nicht. In der gegenwärtigen Literatur gibt es allerdings ein Sujet, in dem man mit einem normalen Menschen beginnt, und dem passieren ungewöhnliche Dinge. Das finde ich unerträglich und albern: "Herr Berger war ein ganz normaler Mann, bis eines Tages..."

Bei der Lektüre Ihrer Romane denkt man oft an Grusel- oder Gespensterfilme. Ist das ein Genre, das Ihnen nahe ist?

Setz: Ich habe Angst vor Gruselfilmen. Ich hab gehört, dass Daniel Kehlmann gerne Horrorfilme anschaut. Ich könnte, glaube ich, keinen Filmabend mit Daniel Kehlmann aushalten. Ich mag Filme von Roy Anderson, oder "Holy Motors" von Leos Carax, oder die alten Bunuel-Filme.

Haben Sie die Vorgänge, die Sie zu Papier bringen, als Film im Kopf?

Setz: Es fühlt sich schon an, als würde ich die Dinge erleben, während ich sie schreibe, so als 3D-Erlebnis. Aber ein Filmdrehbuch ist eine ganz andere Textform. Ich habe vor kurzem ein Drehbuch geschrieben, angeblich ist es auch schon finanziert: Es heißt "Zauberer". Gekauft hat es die Superfilm von David Schalko, Regisseur ist Sebastian Brauneis. Vielleicht ist schon im Herbst Drehbeginn.

Mit Ihrem Buch haben Sie es zum dritten Mal auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft. Zweimal waren Sie dann auch auf der Shortlist, bekommen hat den Preis aber jeweils jemand anderer. Es heißt doch: Aller guten Dinge sind drei. Wird es diesmal klappen?

Setz: Keine Ahnung. Buchpreis-Romane haben meist eine gewisse Gestalt. Meiner passt da nicht ganz hinein. Ich wette ja gerne und habe auch meinen Favoriten: Frank Witzel und "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". Der kriegt das sicher! Da stimmt einfach alles. Das Buch ist ungewöhnlich, der Autor ist bisher noch nicht so bekannt, sodass der Preis auch einen Effekt hätte, mit Matthes & Seitz wäre es auch ein guter Verlag, der noch nie den Buchpreis bekommen hat, und es trägt ein Stück deutscher Geschichte in sich - das hatten, glaube ich, bisher noch alle. Mein Buch hat das jedenfalls nicht.

Zum dritten Mal hinfahren und wieder nicht bekommen wäre aber schon öde, oder? Sagen Sie dann: Beim nächsten Mal bleib' ich lieber gleich zu Hause?

Setz: Nein, das tut ja nicht weh, da gibt es schlimmere Dinge. Ich fahre da gerne hin, falls sie mich wirklich in die Endauswahl nehmen. Dann erlebe den Oscar-Moment, wenn Frank Witzel da hinaufgeht und gratuliere ihm danach von Herzen.

Interview: Wolfgang Huber-Lang/APA

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