71 Menschen sollen auf die nur 6 mal 2,50 Meter große Ladefläche eines vor dem Theater abgestellten 7,5-Tonners steigen - um dem schrecklichen Geschehen in dem im Burgenland entdeckten Kühllastwagen mit 71 Toten "ein Gesicht zu geben", wie das Schauspielhaus erläuterte. Die Fläche ist mit 15 Quadratmetern genauso groß wie die des Kühllasters, in dem die Flüchtlinge vor einer Woche in Österreich den Tod fanden.

Ja, 71 Männer, Frauen und Kinder passen auf die Ladefläche - aber wie. Dicht gedrängt stehen sie wenige Minuten bis an die offene Ladeklappe. "Mein Gott", flüstert eine Frau, die nicht mit eingestiegen ist.

"Du kannst die Beine nicht ausschütteln, du kannst dich nicht hinlegen, du musst stehen", sagt der 17-jährige Schüler Till. "Es war heiß, und es gab wenig Luft", sagt ein 50-jähriger Mann, der weit hinten stand. "Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn die Klappe zugegangen wäre. Dann wär das bisschen Luft weggewesen." Eine alte Dame steht neben der Ladefläche. "Wohin kommt denn das Gepäck", fragt sie fassungslos. "Alle hatten doch sicher ein bisschen Gepäck!"

Nach den Minuten im Lkw sind die Menschen und auch Spediteur Gerard Graf sichtlich verändert. "So eine abstrakte Zahl, die möchte ich mit Leben füllen", sagt Graf. "Ich hoffe, dass wir mit dieser Aktion Öffentlichkeit erzeugen. Letztlich müssen aber die Politiker handeln."

Der leitende Dramaturg Olaf Kröck sagt: "Es ist unendlich wichtig, dass wir angesichts dessen, was in Europa passiert, Gegeninitiativen ergreifen." Einige haben angesichts der spektakulären und medienwirksamen Aktion zwiespältige Gefühle. "Mir gefällt eigentlich der stillere Protest", sagt ein 33-jähriger Arzt. "Da aber der Protest in Deutschland fehlt, sind wir jetzt hier."

Viele Künstler und Theater suchen Antworten auf das große Flüchtlingsthema. Schon längst zeigen Bühnen in ganz Deutschland Flagge und bringen Stücke zur Flüchtlingsthematik mitsamt den Betroffenen auf die Bühne. Sie protestieren mit künstlerischen Mitteln gegen eine Abschottung Europas.

Noch krasser geht das Künstlerkollektiv "Zentrum für Politische Schönheit" vor, das aus Protest gegen die EU-Flüchtlingspolitik in Berlin tote Flüchtlinge bestatten ließ und zusätzlich mit symbolischen Gräbern vor dem Kanzleramt Aufsehen erregte. Als "aggressiver Humanist" bezeichnet sich der Kopf der Gruppe, Philipp Ruch. Die Aktion in Bochum findet er genau richtig.

"Theater ist in der Lage, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen", sagt Ruch der Deutschen Presse-Agentur. Eine Vorstellung davon zu bekommen, was Flüchtlinge erleiden müssen und sich dem zu stellen, halte er für "enorm wichtig". Deshalb ist der Lastwagen vor dem Schauspielhaus für Ruch die "nützlichste Spielstätte, die in der letzten Zeit eröffnet wurde".