Sie redet Klartext: Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek warnt vor einer Verschärfung der Flüchtlingsproblematik, sollte Europa weiterhin keine Initiativen zugunsten der Menschen auf der Flucht vor Hunger und Not ergreifen. "Die Lage kann sich nur verschlechtern. Man kann nur versuchen, rational zu bleiben, und zu planen", sagte Jelinek im Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Repubblica".

"In Europa befürchten die Leute, dass diese schutzlosen Menschen uns etwas wegnehmen könnten. Man wird uns aber noch mehr wegnehmen, wenn wir nichts unternehmen. Der Preis ihrer Rettung wird immer mehr steigen, weil die Nachfrage von Personen und Völkern, die ihr Leben verbessern wollen, steigen wird. Sie werden alles versuchen, weil sie den Tod nicht befürchten. Sie haben ihn schon zu oft gesehen, um ihn zu befürchten. Indem wir sie wie Abschaum behandeln, werden wir selber Abschaum, denn wir sind wie sie", so die Autorin.

"Sprachlos"

"Sprachlos" habe sie auf die Nachricht der 71 Leichen im Lkw auf der A4 reagiert. "Dasselbe empfinde ich, wenn 800 Flüchtlinge in wackelnden Schiffen ertrinken oder ersticken. Ich bin sprachlos. Für Politiker ist es normal, sie kennen Redewendungen der Schauer und der Erschütterung", betonte die Schriftstellerin.

Jelinek kritisierte rechtsextremistische Parteien, die den Flüchtlingsnotstand zu politischen Zwecken nutzen. "Es ist schrecklich, dass rechtsextremistische Parteien und Bewegungen so tun, als hätten sie eine Lösung für alles. Und sie werden sogar gewählt! Die Wahrheit ist, dass unter ihrem Druck die Regierenden nichts zur Rettung der Flüchtlinge unternehmen, während Fanatiker Flüchtlingseinrichtungen in Brand setzen. Und dies geschieht in einem der reichsten Länder Europas", meinte die Autorin.

"Kontrolle verloren"

"Die Politik hat seit jeher die Kontrolle verloren. Es gibt einzelne Initiativen für die Flüchtlinge und das ist gut, denn sie erinnern uns, dass man mit einzelnen Menschen und nicht mit einer Masse ohne Gesicht zu tun hat. Es werden jedoch nicht die Ursachen dieser Migration beseitigt, angefangen von der Destabilisierung im Nahost", so Jelinek im Interview.

Der Arabische Frühling habe viele Hoffnungen geweckt, doch jetzt sei die Welt mit dem Schreckgespenst des Islamischen Staates konfrontiert. "Niemand hätte sogar in seinen schlimmsten Albträumen denken können, dass der Islamische Staat schwache Regierungen ersetzen würde."