Überfüllte Erstaufnahmelager, Zelt- und Containerstädte, Bezirksquoten und viele erschütternde Einzelschicksale - die Flüchtlingsfrage ist eines der bestimmenden Themen dieses Sommers und wohl auch darüber hinaus. Heute erscheint ein Roman zu diesem Thema. Geschrieben ist "Eine Handvoll Rosinen" von jemandem, der sich auskennt. Autor Daniel Zipfel ist als Jurist in der Asylrechtsberatung tätig.

Zipfel schöpft für sein Romandebüt aus langjähriger Erfahrung. Die Biografien und Fälle, von denen er erzählt, sind daher ebenso wenig reine Erfindung wie die seltsame Sprache, die stellenweise das Buch prägt. Es ist die Sprache, mit denen die Bürokratie versucht, individuelle Lebensläufe und Erfahrungen vergleich- und bewertbar zu machen. Eine Notwendigkeit für jene, die eine rechtliche Beurteilung von Unvergleichlichem zu bewerkstelligen haben. Wie Ludwig Blum.

Blum ist Beamter, Amtsdirektor bei der Fremdenpolizei. Er ist auch für Traiskirchen zuständig. Er muss darüber entscheiden, ob Asylansprüche zu Recht bestehen, ob Abschiebehaft verhängt und eine Abschiebung auch tatsächlich durchgeführt wird. Blum fühlt sich als einer von den Guten. Er ist für sein Engagement in Flüchtlingsfragen von der Republik ausgezeichnet worden. Damals, 1968, als der Prager Frühling blutig beendet wurde, war Eigeninitiative gefragt, da konnte man als Fluchthelfer zum Helden werden. 2003, der Zeitpunkt, an dem das Buch spielt, haben sich die Dinge gewandelt. Fluchthelfer gelten nicht mehr als Idealisten, sondern als Kriminelle.

Nejat Salarzai ist so ein Schlepper. Er ist Blums Gegenspieler in dem Roman. Seine Tätigkeit als Dolmetscher für die Fremdenpolizei bringt ihn direkt mit seinen Klienten in Kontakt und ermöglicht ihm, auf Verfahren Einfluss zu nehmen. Er ist eine zwielichtige Gestalt und bedient sich zweifelhafter Methoden. Aber er ist keiner jener, die bedenkenlos über Leichen gehen, und denen es ausschließlich um Geld geht.

Grauwerte

"Eine Handvoll Rosinen" wartet mit ambivalenten Figuren auf. Idealisten, die sich im System verstricken, statt es zu verbessern. Geschäftemacher, die nicht nur egoistische Motive haben. Der Jurist Daniel Zipfel, 1983 im Breisgau geboren und seit acht Jahren für die Caritas in Wien als Asylrechtsberater tätig, bringt einige Grauwerte in die ansonsten nach Schwarz-Weiß-Schema verlaufende Debatte ein. Und er schildert hautnahe, wie es wirklich zugeht, dort, wo in der Nacht die Fremdenpolizei ausrückt, wo Not und Todesangst auf Bürokraten und Verbrecher treffen, wo es schwer ist, Menschen richtig einzuschätzen und zwischen Missverständnis und Lüge zu unterscheiden. Wo Helfer verbittert und Hilfsbedürftige ungeduldig werden, wo Untätigkeit und Ungewissheit auf allen Seiten den Aggressionspegel steigen lassen.

Es wäre unfair, dem Roman angesichts dieser Verdienste literarische Defizite vorzuhalten. Sicher, "Eine Handvoll Rosinen" könnte raffinierter im Aufbau sein, findet nicht immer die rechte Sprache, sorgt im Streben nach Differenzierung manchmal für Verwirrung. Dafür ist die Historisierung, das Wegrücken in die nahe Vergangenheit, eine kluge Entscheidung, die verhindert, dass das Buch als Kolportage gelesen wird, als lange Reportage, als reiner Aufruf zur Menschlichkeit.

Das Phänomen der Flucht in einer globalisierten Welt werde uns auch in den nächsten Jahren begleiten, sagt Daniel Zipfel. Es wird höchste Zeit, dass wir uns damit intensiv auseinandersetzen. "Eine Handvoll Rosinen" ist dabei ein möglicher Beginn.

Daniel Zipfel: "Eine Handvoll Rosinen", Kremayr und Scheriau, 234 Seiten, 19,90 Euro