War das nötig? Diese Frage beschäftigte Beobachter, seit das Projekt einer musikalischen Adaption und Neu-Orchestrierung der "Dreigroschenoper" von Bert Brecht und Kurt Weill durch die Salzburger Festspiele ruchbar wurde. Nach der gestrigen Premiere der von den Weill-Erben nur für Salzburg erlaubten "einmaligen Experimentalfassung" in der Felsenreitschule steht die Antwort fest: Nein.

Experimentell ist nämlich an der Bearbeitung durch Martin Lowe, der Weills Musik "einen neuen Anstrich" geben wollte, genau nichts. Im Gegenteil. Genau jene Schroffheit, Brüchigkeit und Rauheit, die im Original Irritationen erzeugt, wird nun geglättet und aufpoliert. "Harmlos" lautet das Stichwort, das Bettlerkönig Peachum im Stück für das "Lied von der Unzugänglichkeit" ausgibt, ehe er die ersten Takte mit "Sie spielen eben, so gut sie können" kommentiert. Harmlos ist auch alles, was aus dem Orchestergraben kommt (Dirigent: Holger Kolodziej).

Unterhaltungstheater

Die "Dreigroschenoper", die letzte szenische Neuproduktion dieser Festspiele, wird im Sommerschlussverkauf jetzt noch billiger: Mackie, das Musical. Meist revueartig, gelegentlich rockiger, bisweilen richtig beschwingt, aber immer eingängig und fröhlich-flockig kommt das rüber, was einst für Dissonanzen sorgte. Ein Gewinn ist das höchstens für Fans des musikalischen Unterhaltungstheaters. Diese scheint es im Salzburger Festspielpublikum jedoch zur Genüge zu geben. Der Jubel am Ende von mehr als drei Stunden, die sich im zweiten Teil ziemlich zogen, war beträchtlich.

In "Mackie Messer - Eine Salzburger Dreigroschenoper" regiert nicht Fiesheit, sondern Fröhlichkeit. Mackies Messer sind stumpf, dem Haifisch, der in Projektionen auf der Felswand hin- und her schwimmt, wird nicht auf den Zahn gefühlt. Hier wird nicht gedacht, sondern geturnt: Es gibt Möbel-, Pferde-, Bügelbrett-, Gauner- und Polizisten-Ballette (Choreografie: Ann Yee), hübsche Schattenspiele in den Arkaden, große Puppen, einen Riesenelefanten und putzige Ausstattungsteile wie aus dem Ausschnittbogen.

Hübsch und unverbindlich

Der vom Straßen- und Figurentheater kommende Regisseur Julian Crouch war ursprünglich nur als Bühnenbildner vorgesehen und hat seine charakteristischen Regieelemente, die dem "Jedermann" ein wenig die Anmutung eines mittelalterlichen Spektakels zurückgegeben haben, auch hier eingebaut. Das ist hübsch anzusehen, doch unverbindlich. Verblüffend, wie sehr man für eine musikalische Neubearbeitung gekämpft, aber gleichzeitig offenbar so wenig überlegt hatte, was man damit eigentlich erzählen möchte. Erzählt wird an diesem Abend kaum etwas, lediglich illustriert.

Sich zu der heutigen Arm-Reich-Problematik zu verhalten, zur Diskrepanz zwischen Festspiel-Pomp, sozialer Krise und globaler Ungleichheit, davon lassen Crouch und sein Co-Regisseur und Sven-Eric Bechtolf die Finger. Fragen von Fressen und Moral werden nicht gestellt. Alles bleibt schön vage und historisch. "Mackie Messer - Eine Salzburger Dreigroschenoper" ist ein Besuch im verstaubten Museum, ausgestattet mit neu aufgenommenem Audio-Guide.

Graham F. Valentin, Protagonist vieler Marthaler-Produktionen, ist ein hoch expressiver Peachum, der den weiten Raum der Felsenreitschule problemlos füllt, doch mehr eine Lumpensammlung als ein straff organisiertes Bettlergewerbe zu führen scheint. Michael Rotschopf ist ein agiler, alerter Ober-Verbrecher Mackie Messer, mehr Moderator als Mörder, der seine liebe Not seinen schrillen Gefährtinnen hat, mit Polly (Sonja Beisswenger), der neuen, und Lucy (Miriam Fussenegger), der alten. Harmlos bis drollig erscheinen Gauner und Polizisten, angeführt von Tiger Brown (Sierk Radzei). Sona MacDonald bringt als Spelunkenjenny neben Valentine und Pascal von Wroblewsky als füllige Frau Peachum am ehesten eine Ahnung jenes musikalischen Ansatzes, der einst gleichermaßen irritierte wie faszinierte.

"Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm." Darum hätte es gehen können, sollen, müssen. Das ist das Thema heute, in dieser längst brüchig gewordenen Wohlstandsgesellschaft, in der die Verteilungs- und Verteidigungskämpfe mitten unter uns geführt werden. Unangenehm muss den Premierenbesuchern an diesem Abend aber gar nichts werden. Da ist nur logisch, dass den meisten Szenenapplaus eine bekannte Frage erhält: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" In Zeiten von Banken- und Finanzkrisen lässt sich auch das Salzburger Festspielpublikum spielend gegen "die da oben" solidarisieren.

Das Original

Das Duo Crouch und Bechtolf hat sich gefunden, so scheint es. Mehrere gemeinsame Opern-Projekte sind bereits in Planung. Puristen freuen sich jedoch auf Samstag. Da führen nämlich HK Gruber und das Ensemble Modern in Salzburg die musikalische "Dreigroschenoper"-Originalfassung auf.