Rezension von MICHAEL TSCHIDA

Heute würde man wohl Youporn-Audio dazu sagen. Die „Rosetta“ zum Beispiel, die ein hormongestauter Liebhaber besingt, ist nicht nur die „kleine Rose“, die er pflücken möchte, sondern auch etwas anderes rosa Aufblühendes hinterm Busch. Erotisch bis frivol geht es in vielen Madrigalen, Canzonetten und Scherzliedern her, die Claudio Monteverdi (1567-1643) in seinen stilprägenden neun Büchern sammelte.
Ein entsprechendes Pasticcio aus Wollust, Witz und Wehmut servierte nun „La Venexiana“ bei der styriarte und trieb freche „Scherzi musicali“, wobei sich da und dort zeigte, dass auf dem Grat zwischen Commedia und Klamauk nicht leicht zu wandern ist. Weil es sich mit dem Idealort Minoritensaal derzeit spießt, wich Intendant Mathis Huber mit diesem und einem weiteren Vokalkonzert in das akustisch problematische Orpheum aus. Die dezente Verstärkung tat dem Originalklang jedoch keinen Abbruch.
Als Sängerensemble erweist sich „La Venexiana“ nicht nur mit der Gesamtaufnahme der Libri I-IX als exzellenter Botschafter Monteverdis. Und unterstrich samt Orchester auch live, dass es auf Du und Du ist mit dem Großmeister der kleinen Form, der in wenigen Takten Mikrodramen zu entwickeln verstand. Leiter Claudio Cavina legte vom Cembalo aus mit sechs zupackenden, nicht immer ganz astreinen Instrumentalisten das Fundament für den Spaß, den sich vier gurgelgeläufige Vokalisten zwischen Ritornellen und Sinfonien mit Opernszenen aus der „Poppea“ oder dem „Ulisse“, aber auch mit delikaten Spitzfindigkeiten von Biagio Marini und Tarquinio Merula machten.
Dass die Small Band zuletzt mit der quicken Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli das von Haus aus swingende „Ohimè ch’io cado“ zum launigen Jazzsong mit Blue Notes, Walking Bass und Finger Snapping erhob, lässt uns im Stammbaum nachschauen, ob Claudio Monteverdi vielleicht doch ein direkter Vorfahre von Duke Ellington war.

Hörprobe aus der Sammel-CD

Kritikerschule

Wer braucht heute noch Musikkritiker? Das Publikum? Die Veranstalter? Die Medien? Die Künstler? Wohl alle zusammen. Aber wo lernt man das Handwerk? Wo diskutiert man die Erwartungen an Musikkritik in einer sich so schnell verändernden Medienwelt? Zum Beispiel in der Kritikerschule, die die styriarte 2015 gemeinsam mit der Kleinen Zeitung im Palais Attems errichtete. Experten des Festivals und der Tageszeitung führen im styriarte.Studio an zwei Terminen in die journalistische Arbeit ein und geben ihr Know-how an junge Menschen weiter. Nach Besuch der Konzerte werden die Probe-Rezensionen diskutiert.

Probetexte

Vom ersten Termin lesen Sie hier drei imponierende Probekritiken, keine von den Teilnehmerinnen hat zuvor eine Rezension über ein musikalisches Ereignis geschrieben.

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Rezension von MARIE HUBER

Marie Huber, geboren 1995 in Graz, erhielt im Alter von fünf Jahren ihren ersten Musikunterricht. Sie studiert seit ihrem 16. Lebensjahr Violoncello an der Kunstuniversität, wo sie auch Viola da Gamba- Unterricht nimmt und sich seit kurzem vermehrt mit Alter Musik beschäftigt. Zuletzt trat sie solistisch mit dem Orchester „Dreiharmoniker“ auf.
Marie Huber, geboren 1995 in Graz, erhielt im Alter von fünf Jahren ihren ersten Musikunterricht. Sie studiert seit ihrem 16. Lebensjahr Violoncello an der Kunstuniversität, wo sie auch Viola da Gamba- Unterricht nimmt und sich seit kurzem vermehrt mit Alter Musik beschäftigt. Zuletzt trat sie solistisch mit dem Orchester „Dreiharmoniker“ auf. © KK/styriarte

Vom Lachen über erotische Klänge

Schlüpfrige Texte bei heiterer Atmosphäre im Orpheum.

Ohne Worte hätten die Italiener mit ihrer komödiantischen Mimik das Publikum amüsiert. Mit Claudio Monteverdis „Scherzi Musicali“ und Texten wie jener über eine „adrette alte Schnepfe“, die einen jungen Mann mit „Duftwässerchen und anderen Hilfsmitteln“ bezirzen will, lösten sie beim Publikum anfangs genierliches Schmunzeln, bald großes Gelächter aus. Die drei Sänger von „La Venexiana“ agierten sogar bei dem aus dem 8. Madrigalbuch stammenden „Gira il nemico insidioso“ wider Erwarten auffällig vergnügt anstatt kriegerisch-leidenschaftlich. Sie vollendeten das vielseitige Programm des Abends mit „Amor se fossi arciero“, aus dem Bühnenwerk „Il ritorno d´Ulisse in patria“, und wetteiferten hierbei um ihre Kräfte mit dem Bogen des Amors. Auch wenn der Tenor Alberto Allegrezza dabei nicht seine Muskelstärke unter Beweis stellen konnte, so überzeugte er über den ganzen Abend hinweg mit Stimmstärke, sicherer Intonation und unverkennbarer schauspielerischen Gabe. Die drei Männer boten zusammen mit dem von Claudio Cavina geleiteten barocken Originalklang-Ensemble eine solide, geistreiche Performance. Die für das Programm suboptimale Spielstätte, in der die Interpreten mit Mikrophonen verstärkt musizierten, konnte zumindest bei einer barocken, jazzigen Walking-Bass Nummer, über welche die Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli „madrigalierte“, ihre Vorteile erkennen lassen. Da schnipste auch das Publikum gerne mit.

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Rezension von GERTRAUD HEIGL

Gertraud Heigl, 1975 in Graz geboren, musikalische Ausbildung in der Musikschule Feldkirchen/Graz, zunächst auf dem steirischen (diatonischen) Hackbrett, später auf dem Klavier. Es folgte ein Studium an der Karl-Franzens-Universität (Musikwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik), das sie 2001 abschloss. Seit Juni 2002 arbeitet sie bei der Steirischen Kulturveranstaltungen GmbH, Trägerinstitution der styriarte, von recreation – Großes Orchester Graz, Psalm etc. Innerhalb dieser Firma ist sie seit Herbst 2006 für die Organisation der Orchesterkonzerte des Orchesters recreation und seit 2014 auch für das styriarte Festspiel-Orchester verantwortlich.
Gertraud Heigl, 1975 in Graz geboren, musikalische Ausbildung in der Musikschule Feldkirchen/Graz, zunächst auf dem steirischen (diatonischen) Hackbrett, später auf dem Klavier. Es folgte ein Studium an der Karl-Franzens-Universität (Musikwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik), das sie 2001 abschloss. Seit Juni 2002 arbeitet sie bei der Steirischen Kulturveranstaltungen GmbH, Trägerinstitution der styriarte, von recreation – Großes Orchester Graz, Psalm etc. Innerhalb dieser Firma ist sie seit Herbst 2006 für die Organisation der Orchesterkonzerte des Orchesters recreation und seit 2014 auch für das styriarte Festspiel-Orchester verantwortlich. © KK

Liebeskrieger und sabbernde Alte im Orpheum

La Venexiana boten virtuos Komödiantisches von Monteverdi.

Ins Orpheum, wo sonst die Größen der heimischen Kabarettszene ihre Pointen abfeuern, der Kasperl die Kinder erfreut und Rockiges bis Jazziges zu Hause ist, lud die styriarte zu einem kurzweiligen italienischen Abend mit La Venexiana. Die Alte-Musik-Spezialisten rund um Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli bewiesen aber, dass die rund 400 Jahre alten, nicht immer jugendfreien, Scherzi musicali von Claudio Monteverdi und seinen Zeitgenossen Biagio Marini und Tarquinio Merula an so einem Ort ebenso prickelnd das Publikum erfreuen können, wie etwa im Minoriten- oder Planetensaal. Zwar dezent verstärkt, aber durch das Flair des Theaterraums zum Schauspielen angeregt, schafften es die vier Sänger und sieben Instrumentalisten mit Violine bis Cembalo den scheinbar so alten, frühbarocken Madrigalen feuriges Leben einzuhauchen. Die von erotischen Metaphern durchzogenen Madrigaltexte wirken wenig gestrig, wenn etwa von Amors Pfeil getroffen, Liebende im köstlichen „Bel pastor“ von Monteverdi tändeln, sich um die Herzen einer Angebeteten bekriegen oder über eine unerwünschte alte, sabbernde Verehrerin beklagen, wie in Marinis „Una vecchia sdentata e bavosa“. Mit leichtem Swing, vom Kontrabassisten Alberto Lo Gatto angestimmt, und durch Fingerschnipsen von Claudio Cavina am Cembalo und sogleich vom Publikum unterstützt, holten La Venexiana auch noch das Monteverdi’sche „Ohimè ch’io cado“ spielerisch in die Gegenwart.

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Rezension von BRIGITTE ULBRICH

Brigitte Ulbrich lebt als Sprachcoach, Sprecherin, freie Kulturjournalistin in Graz und Wien. Langjähriges Mitglied des Vokalensembles Capella Nova Graz (Alte, Neue Musik). Gesang-Workshops bei Colin Mason, Johannes Prinz, Eric Ericson, Simone Kopmajer u. a. Musikalische Ausbildungen am Konservatorium Graz (Violine, Kammerorchester), ATT® Wien, privater Gesangsunterricht (klassisch, Jazz), Stimmbildung, Sprechtechnik.  Als Absolventin des Lehrgangs „Radio macht Schule“ an der PH Steiermark (Wolfgang Kolleritsch, Produktion von Radiobeiträgen) ist Brigitte Ulbrich neben ihrem Job als Sprechcoach journalistisch, mit Schwerpunkt in der klassischen Musik und im Jazz, tätig.
Brigitte Ulbrich lebt als Sprachcoach, Sprecherin, freie Kulturjournalistin in Graz und Wien. Langjähriges Mitglied des Vokalensembles Capella Nova Graz (Alte, Neue Musik). Gesang-Workshops bei Colin Mason, Johannes Prinz, Eric Ericson, Simone Kopmajer u. a. Musikalische Ausbildungen am Konservatorium Graz (Violine, Kammerorchester), ATT® Wien, privater Gesangsunterricht (klassisch, Jazz), Stimmbildung, Sprechtechnik. Als Absolventin des Lehrgangs „Radio macht Schule“ an der PH Steiermark (Wolfgang Kolleritsch, Produktion von Radiobeiträgen) ist Brigitte Ulbrich neben ihrem Job als Sprechcoach journalistisch, mit Schwerpunkt in der klassischen Musik und im Jazz, tätig. © Theresa Rothwangl

styriarte rockt das Orpheum: Verführende Komik

„Scherzi Musicali“ - La Venexiana betörte mit erotisch-barocker Madrigalkunst

Wenn im Orpheum das Publikum mit den Fingern schnippt, der Kontrabassist die jazzige Linie des „Walking Bass“ vorgibt, wähnt man sich nicht unbedingt in einem Konzert des Festivals Styriarte. An diesem sonst „rockigen“ Ort bestach Montagabend La Venexiana, eines der versiertesten italienischen Madrigalensembles, mit brillantem Spielwitz, alle Raffinessen früher Madrigalkunst Monteverdis und seiner Weggefährten auskostend. Das Ensemble, bekannt durch seine fabelhaft komödiantischen Darstellungen, verführte mit betörender Gesangskunst.

Scherzi Musicali - ein Reigen an erotisch knisternden Kostbarkeiten, dargeboten fernab jeder Manieriertheit oder distanzierter Noblesse gewohnter Interpretationen früher Vokalmusik. Drei Männer stritten um die Gunst einer Frau, so hatte es Monteverdi für seine unterhaltenden Kompositionen am Hofe Mantuas vorgesehen.

Liebespfeile, Liebeskrieger, aufreizende Rhythmen, tiefe Seufzer von Geige und Sängern, das Ensemble spielte alle sprachlichen Andeutungen mit viel komischem Verve aus. Francesca Lombardi Mazzulli, frisch, feinsinnig und mit mitunter frivolem Timbre, Alberto Allegrezza und Raffaele Giordani, in umwerfender Komik im Terzett mit Bariton Mauro Borgioni - verstanden es, unterstützt vom barocken Instrumentalensemble, zu umgarnen und den enormen Improvisationsspielraum in Monteverdis Musik zu nützen.

„Ohimè ch’io cado, ohime“ – zweideutig knisternde Erotik pur, komisch dargebracht – ein unvergesslicher Abend der Lust auf mehr (italienische Madrigalkunst) macht.