Richard Wagners Leben und Werk - das ist immer auch ihr Thema. Aus der Verwandtschaft könne man nicht austreten, sagt Nike Wagner. "Man kann sich nur anderswo Freunde suchen. Und neue Orte." Am 9. Juni wird die Urenkelin Wagners und Ururenkelin Franz Liszts 70 Jahre alt.

Die Verbindung zu dem schillernden und polyglotten Virtuosen, sie ist Nike Wagner besonders wichtig. In Weimar konnte sie als Chefin des Kunstfestes an einer früheren Wirkungsstätte Liszts arbeiten. "Weimar war ein Glücksfall für mich: Freiheit in der Programmierung, das Einbringen von zeitgenössischer Musik und Kunst, das Lernen vom Ost-Erbe, der local hero Franz Liszt. Damit ließ sich umgehen, das gab ein Spielfeld."

Nike Wagner wuchs mit ihren Geschwistern in Bayreuth auf. Ihr Vater Wieland Wagner erneuerte gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang die Festspiele nach den bleiernen Jahren des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Es war eine Kindheit im Schatten des Grünen Hügels, in einem weltberühmten Clan. Der Bruch kam mit dem Tod Wielands 1966. Onkel Wolfgang war nun der Alleinherrscher in Bayreuth. Die Familie des Bruders wurde ausgebootet.

Nike sollte später eine der schärfsten Kritikerinnen Wolfgang Wagners werden. Zweimal scheiterte ihr Versuch, die Leitung der Festspiele zu übernehmen. Obwohl nicht wenige Experten der Meinung sind, Nike Wagner wäre unter allen Nachfahren die beste Wahl gewesen, um das weltberühmte Festival fit für die Zukunft zu machen. Doch daraus wurde nichts. Der Wolfgang-Stamm hat sich durchgesetzt, inzwischen sitzt Katharina Wagner, die 33 Jahre jüngere Cousine, fest im Sattel.

Und Nike diagnostiziert schonungslos: Bayreuth sei in einer tiefen Krise - "leider nicht in einer besonders fruchtbaren". Über die Richard-Wagner-Stiftung ist die promovierte Literaturwissenschaftlerin ("Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne") weiterhin in das Geschehen in Bayreuth involviert. Sie und ihre Geschwister fürchten eine Entmachtung der Stiftung, die eigentlich 1973 gegründet wurde, um den künstlerischen Nachlass Richard Wagners zu pflegen.

Außerdem ist die Stiftung Eigentümerin des Bayreuther Festspielhauses. Die Rechte der Stiftung würden derzeit von den Geldgebern der Festspiele ausgehebelt, kritisiert Wagner: "Mein Familienzweig - Wieland Wagners geistigem Erbe verpflichtet - kämpft schon seit langem gegen das Aushöhlen der Rechte der Stifterfamilie in der Stiftung. Aber da gibt es die nahezu unendlichen bayerisch-oberfränkisch-mäzenatischen Kungeleien. Fifa ist überall." Ihr Familienzweig erwäge eine Klage.

Erfreulicher gestalteten sich viele andere Kapitel in ihrer Biografie. Zu ihrem Abschied aus Weimar erntete Nike Wagner viel Lob in der Klassikerstadt: Unter der Intendanz von Wagner habe das Kunstfest und damit das Kulturland Thüringen an Glanz, an Ausstrahlung und an internationalem Renommée gewonnen, urteilte etwa die frühere Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) im Jahr 2013.

Im Vorjahr wechselte Wagner dann nach Bonn. "Und schon wieder Familienbande: Bei Beethoven hat Wagner das Komponieren gelernt und auch Liszt war bedingungsloser Beethoven-Fan." Der Einstieg ins Rheinische sei also "angenehm vorprogrammiert", sagt Wagner, die in Bonn, Wien und Berlin lebt. Ihre Ziele formuliert sie so: "Wir müssen Beethoven in Bonn festigen und in die Gegenwart ziehen und zugleich neue Wege suchen: ein Festival in seinem widerborstig-eigenwillig-kreativen Geist machen." Ihren runden Geburtstag feiert sie nicht am eigentlichen Datum, sondern erst später - "mit Klavier und Posaune, mit Lust und Liszt".

"Fifa ist überall": Interview mit Nike Wagner

Von Weimar nach Bonn - was unterscheidet die beiden Städte aus Ihrer Sicht als Kultur-Orte?

Nike Wagner: Weimar ist von der Kulturgeschichte geprägt, Bonn vom Beamtentum, der Universität und der Politik. Was sie gemeinsam haben, sind ein paar Bestimmungen in den republikanischen Verfassungsentwürfen: Der Weimarer Versuch ist gescheitert, der Bonner geglückt.

Beethoven ist ein Künstler, der weltweit rezipiert wird. Im Vergleich zur Verbindung Mozart und Salzburg erscheint das Band Beethoven und seiner Geburtsstadt Bonn eher lose: Ließe sich das ändern? Oder ermöglicht Ihnen genau das künstlerische Freiheiten?

Nike Wagner: Bei den Karl-May-Festspielen gibt es Pferde, beim Beethovenfest Beethoven. So viel steht fest. Dann beginnen die Schwierigkeiten. Beethoven blieb im Unterschied zu Mozart seiner Geburtsstadt immer positiv verbunden. Sie hat es ihm jedoch nur zögerlich gedankt. Franz Liszt hat das Bonner Beethoven-Denkmal bezahlt und ein Beethovenfest erzwungen, eingebürgert hat es sich nie so recht. Und dass es die wilde Nationalsozialistin Elly Ney war, die sich hier für Beethoven einsetzte, macht die Sache nicht besser. Inzwischen aber besinnt sich Bonn auf seinen großen Sohn, will ihn ehren, feiern und vorneweg stellen. Führt im Namen Beethovens einen verzweifelten Kulturkampf, will ihm ein neues Festspielhaus bauen. All dies heißt für mich: Wir müssen Beethoven in Bonn festigen und in die Gegenwart ziehen und zugleich neue Wege suchen: ein Festival in seinem widerborstig-eigenwillig-kreativen Geist machen.

Im Deutschlandfunk hieß es erst kürzlich über Sie: Mit dem Namen Wagner sei man immer "Teil des Theaters, da entkommt man nicht". Sehen Sie das auch so?

Nike Wagner: Richtig, aus der Verwandtschaft kann man nicht austreten. Man kann sich nur anderswo Freunde suchen. Und neue Orte. Weimar war ein Glücksfall für mich: Freiheit in der Programmierung, das Einbringen von zeitgenössischer Musik und Kunst, das Lernen vom Ost-Erbe, der local hero Franz Liszt. Damit ließ sich umgehen, das gab ein Spielfeld. Nun Bonn. Und schon wieder Familienbande: Bei Beethoven hat Wagner das Komponieren gelernt und auch Liszt war bedingungsloser Beethoven-Fan. Der Einstieg ins Rheinische ist also angenehm vorprogrammiert - Bayreuth dagegen tief in der Krise. Leider nicht in einer besonders fruchtbaren.

Über die Richard-Wagner-Stiftung sind Sie und Ihre Geschwister in Bayreuth präsent. Sie haben deutlich beklagt, dass der Einfluss der Stiftung ausgehöhlt wird. Wie ist hier der derzeitige Sachstand? Zeichnet sich eine Lösung ab?

Nike Wagner: Fragen Sie mich was Einfacheres! Mein Familienzweig - Wieland Wagners geistigem Erbe verpflichtet - kämpft schon seit langem gegen das Aushöhlen der Rechte der Stifterfamilie in der Stiftung. Aber da gibt es die nahezu unendlichen bayerisch-oberfränkisch-mäzenatischen Kungeleien. Fifa ist überall. Wir erwägen die Klage. Dass man der 95-jährigen Enkelin Wagners nur noch Zahlkarten in Bayreuth zugesteht, ist bloß ein pikantes Detail in diesen unsauberen Zusammenhängen und all diesen historischen Gefühllosigkeiten.

Was bedeutet die Musik Wagners für Sie?

Nike Wagner: Ein Fluidum. Vertrauter Klang. Jeder vernünftige Mensch seit Nietzsche und Thomas Mann weiß, dass Wagner keineswegs nur auftrumpfend-vereinnahmend ist. Seine psychologische Raffinesse und seine Kapitalismuskritik sind nur zu bewundern. Und wir reden da noch nicht von der Musik.

Und was bedeutet Franz Liszt, der Ururgroßvater, für Sie?

Nike Wagner: Liszt war ein großer Europäer und ein wunderbarer Charakter. Und er war "Zukunftsmusiker". Ich identifiziere mich mit Vergnügen mit dieser Weltklasse-Figur. Den Klaviervirtuosen können wir nicht mehr hören, aber seine besten Kompositionen sollten endlich ins Repertoire - sie bewegen Himmel und Hölle.

Verraten Sie, in welchem Rahmen Sie Ihren Geburtstag feiern werden?

Nike Wagner: Das eigentliche Datum werde ich irgendwie unterlaufen. Vielleicht überdenken, wie alles so kam. Ich bin so alt wie das Kriegsende. Zu einem späteren Zeitpunkt wird gefeiert - mit Klavier und Posaune, mit Lust und Liszt.

Kathrin Zeilmann, DPA