Berührendster Moment des Abends: Der fast 80-jährige Bandoneon-Spieler Dino Saluzzi demonstriert in drei Stufen, jeweils nur wenige Takte lang, die Evolution des argentinischen Tango von der Volksmusik zum freien rhythmischen Konzept. Mit einem inzwischen vom Sextett zum Quintett abgespeckten Ensemble erinnert er sich aber noch an jede Menge anderer Musiktraditionen seiner Heimat. Der Veitstanz der Gauchos (der argentinischen Viehhirten) im friedlichen Wettstreit ist ebenso Thema wie ein Lied der rotbackigen Kinder aus den kalten Bergen. Trotzdem hat das nichts Belehrendes, alles fließt sehr natürlich.
Das von Familienmitgliedern dominierte Ensemble der Saluzzis wird durch den ebenso aufmerksamen wie versierten Drummer Quintino Cinalli verstärkt. Man spielt vor von Papier überquellenden Notenständern. Die zu eben diesem Papier gebrachten Arrangements sind dann aber doch wenig abwechslungsreich, lassen kaum Spielraum für Spontanität. Wer sich an den wilden Dino Saluzzi der frühen Jahre erinnert, das Energiebündel, das sich über seinem Instrument windet, schreit und dazwischen flötet, der findet nun einen „Buddha“ des Tango, der in der Mitte der Bühne thront. Sanft drückt und zieht er an seiner Harmonika, der Rhythmus ist sofort präsent. Alles ist langsamer und leiser geworden, aber jeder Ton sitzt. Ein altersweiser Botschafter der argentinischen Musik spielt sich in die Herzen seines Publikums. Großer Jubel am Sonntagabend im übervollen Freskensaal des Stifts Viktring beim standesgemäßen Eröffnungskonzert des Musikforums, das heuer der lateinamerikanischen Kultur gewidmet ist.

GILBERT WALDNER