Das Ende ist ihm ins Gesicht geschrieben. Kommissar Andreas Keppler (Theatercharakterkopf Martin Wuttke) fragt, mit Blick in den Kühlschrank, bedeutungsschwanger in die Kamera: "Was ist der Sinn des Lebens? Die Frage ist doch: Soll das Ganze ein Scherz sein? Oder mehr eine Tragödie?" Die Waschmaschine seiner Mutter ist auch schon k.o. Neben ihm schimmeln Lebensmittel vor sich hin, die das Haltbarkeitsdatum längst überschritten haben.

Irgendwie gilt das auch für das Leipziger "Tatort"-Duo Keppler und Eva Saalfeld (Simone Thomalla). Was wurde nicht an ihnen herumgegrantelt und genörgelt in ihren 21 TV-Fällen als Ex-Liebespaar und Beamtenkollegen. Ihr finaler Fall führt vor, was möglich gewesen wäre: Wenn man die Figuren der beiden im privaten Spannungsfeld zwischen Liebe, Hass und beruflicher Professionalität vorangetrieben hätte, wenn man ihnen ordentliche Drehbücher vorgesetzt und mitunter auch die Probleme im Osten Deutschlands bewusst thematisiert hätte.

Ein gutes letztes Mal

"Niedere Instinkte" ist ein Ausstieg in Würde. Eine Psychogroteske, die auch die Geschichte der Figuren zu Ende erzählt. Das wirkt ein bisschen zu sehr konstruiert, aber das fantastisch beklemmende Buch von Sascha Arango (sonst Spezialist für Borowski-Tatorte) verzeiht dieses Mal vieles: Magdalena, ein achtjähriges Mädchen wird entführt. Vom Lehrerehepaar Vivien (Susanne Wolff) und Rolf Prickel (Jens Albinus) - das ist einem als Zuseher bald klar. Das kinderlose Paar hechelt einem nicht erfüllten Kinderwunsch und dem Familienidyll krankhaft hinterher. Er ist Lehrer an Magdalenas Schule, niest viel (Nasenspray-Spuren führen schlussendlich auch zu ihm) und will mit dem "geraubten" Mädchen nicht nur den Haussegen wieder gerade biegen sondern auch das Liebesleben. Sie will, dass Magdalena für immer bei ihnen, im Kellerloch, bleibt und sie als ihre Mutter lieb gewinnt. Das entführte Mädchen ist wie ein Geschenk für sie, um ihr Bedürfnis nach Nähe, Zuwendung, Liebe zu stillen. Gespenstisch, krankhaft: Wie das Paar sich weiße Masken überzieht, wenn es zum "geraubten Mädchen" in den Keller kriecht und das anscheinend auch nach anziehende Wirkung auf sie hat.

Das geraubte Mädchen: Beklemmende Psychogroteske am letzten
Das geraubte Mädchen: Beklemmende Psychogroteske am letzten "Tatort" in Leipzig © (c) MDR/Saxonia Media/Steffen Jungha

Was das verstörende Paar mit den Kommissaren eint: auch sie hat das Kinderthema nach dem Tod ihres Kindes nicht nachgelassen. Das macht die Ermittlungen für sie zur aufreibend abgründigen Angelegenheit. Dass Keppler eine Affäre mit Saalfelds Nachbarin eingeht, erleichtert die Zusammenarbeit nicht unbedingt, sondern reißt alte Wunden der Eifersucht wieder auf.

Keppler zaudert, hadert und zweifelt. In den Szenen, in denen er seine Worte direkt ans Publikum richtet, zeigt sich die grandiose Spielfreude von Martin Wuttke. "Nichts geschieht ohne Grund", sagt er einmal. Und irgendwie klingt das nach Abschiedsworten an seine Fans.

Davor muss aber noch der Fall geklärt werden, den religionsfanatischen Eltern geholfen und die Leiche von Rolf Prickel gefunden werden, das Mädchen gerettet werden und "die Prickel" gefunden werden.

Am Ende sagt Saalfeld: "Komm her!" Seine Antwort: "Mann, hat das lange gedauert." Dann küssen sie sich. Sag niemals nie! Zur "Tatort"-(Hass)Liebe der beiden Ermittler. Und zum Lob für einen Fall aus Leipzig.

Der Fall spaltete die "Tatort"-Fans auf Twitter: