Herr Binder, Sie haben mittlerweile rund 70 Stücke uraufgeführt. Worin besteht für Sie der stets wiederkehrende Reiz?
ERNST M. BINDER: All das hat sicher mit meiner Sozialisierung zu tun. Ich bin mit neuer Literatur groß geworden, nicht am Gymnasium, sondern weil sich alle Leute über die Dichter aufgeregt haben. Das hat mir die damals jungen Autoren auf Anhieb enorm sympathisch gemacht. Allen voran Wolfgang Bauer. Und diese Zuneigung zu Künstlern, die Neues versuchen, ist und bleibt enorm groß.


Sie haben ja selbst auch als Dichter begonnen.
BINDER: Ja, und ich verstehe mich auch heute eigentlich noch immer eher als Dichter und nicht als Regisseur.


Worauf beruht das?
BINDER: Dichter zu sein, hat nicht unbedingt gleich auch damit zu tun, dass man etwas schreibt. Es hat viel mit einer eigenen Art von Bewusstsein zu tun, mit einer subjektiven Wahrnehmung der Welt. Und ich möchte dieser Welt im Theater die eine oder andere Landschaft hinzufügen.


Für das Publikum gibt es da aber immer wieder einige Hemmschwellen. Warum eigentlich?
BINDER: Mich interessieren Autorinnen und Autoren, deren Texte man nicht unbedingt vom Blatt spielen kann. Aber es ärgert und wundert mich häufig, dass es heißt, diese Stücke seien so schwer verständlich. Das sagen im Regelfall jene Leute, die sich unentwegt Werke von Shakespeare ansehen, zwar den Grund-Plot verstehen, aber keine Ahnung haben, was da in Wahrheit alles noch dahintersteckt.


Es besteht wohl trotzdem eine gewisse Vertrautheit?
BINDER: Mag schon sein. Tatsache aber ist es, dass die breite Masse immer weniger liest. Sie wird gefüttert mit Nachrichten, die tatsächlich auch der Dümmste verstehen kann, aber sie haben verlernt, darüber nachzudenken, womit sie da überhaupt konfrontiert werden. Dabei gibt es Gegenwartsstücke, die verständlicher gar nicht sein könnten.


Als nächste Uraufführung steht am Montag, dem 2. März Joachim Vötters „Yorick stirbt“ auf dem Programm. Auch hier gibt es ja eine klare inhaltliche Aussage: Ein Theaterdirektor, amtsmüde, resignativ, ruft zwei Schauspieler zu sich und fordert sie auf, das Theater dem Erdboden gleichzumachen. Ausgewiesen ist das Werk als Komödie, aber das trifft wohl nicht ganz zu.
BINDER: Nein. Eigentlich kann man beim Zuschauen gleich einmal mit dem Weinen anfangen. Es geht ja um mehr. Um den Verlust des Theaters, um Akteure, die ihren Job verlieren. In Wahrheit gibt es ja keine wirklich gute Komödie, die nicht zugleich unendlich traurig ist. Die Inszenierung ist sehr doppelbödig, ambivalent und sie lebt, wie alle Stücke, die ich mache, auch von der Sprachmusik, die dann mit dem Inhalt zusammenwächst und zu einem Ganzen werden soll.


Stichwort Musik, die ja auch viele ihrer Regie-Arbeiten prägte. Sie wurden zum Leiter des Projekts „Opern der Zukunft“ ernannt, das ebenfalls in mehrere Uraufführungen münden wird. Müssen Sie da nicht dennoch in vielerlei Hinsicht umdenken in Richtung Oper?
BINDER: Gar nicht. Musik hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Und jetzt kommt es mir vor, als hätte ich im Theater ohnehin immer das gemacht, nicht so deutlich klarerweise. Aber ich liebe das Projekt, ich liebe die Zusammenarbeit mit 21 jungen Komponisten und mit den Sängerinnen und Sängern, die unglaublich exakt arbeiten. Und ich möchte junge Grazer Autorinnen und Autoren als Librettisten gewinnen.


Kurz noch einmal zum Vötter-Stück: Kam Ihnen selbst nie der Gedanke, das Theater restlos in seine Bestandteile zu zerlegen?
BINDER: Na, wer hat das denn nicht? Es gibt immer wieder Momente, wo man alles hin- und kleinhauen möchte. Kunst ist immer Arbeit, sie ist mit Qual verbunden, sie ist rücksichtslos, nur sich selbst verpflichtet. Das Glück ist woanders. Aber ein Aufgeben gibt es für mich nicht, denn dann würde ich mich aufgeben. Und das liegt mir völlig fern.

INTERVIEW: WERNER KRAUSE