Seit sie ihn in der Werkstatt ihres Vaters gesehen hat, läuft die 15 Jahre alte Tochter des Waffenschmieds Theobald Friedeborn unbeirrbar dem Grafen Wetter vom Strahl hinterher, rettet den geliebten Mann vor einer Intrige des Fräuleins Kunigunde von Thurneck, wird von einem Engel aus einer brennenden Burg gerettet und vom Grafen endlich vor den Altar geführt, nachdem der Kaiser sie als seine uneheliche Tochter anerkennt.
Er habe, befand Heinrich von Kleist, in seinem 1810 in Wien uraufgeführten „Käthchen von Heilbronn“ ein Wesen geschaffen, das „mächtig ist durch gänzliche Hingebung“. Verachtung, Verbannung, Verschwörung, Standesunterschiede, alles überwindet diese leidenschaftliche Ergebenheit. Allerdings nicht in der Lesart von David Bösch.
205 Jahre nach der Erstaufführung entwirft er in seiner Inszenierung am Wiener Burgtheater ein düsteres Bild der Liebe. Hier ist sie keine Himmelsmacht, hier ist sie eine Besessenheit. Der Engel ist gestrichen, mehr als einmal kippt die sture, ungeschlachte Anhänglichkeit Käthchens zum Grafen Strahl in dunklen Furor, dann erinnert die wunderbare Sarah Viktoria Frick plötzlich an Linda Blair in „Der Exorzist“. Ihr vis a vis stellt Bösch einen Grafen, den Fabian Krüger als unreifen Tatmenschen zeichnet; in seinen Monologen berauscht sich dieser Graf an seiner heimlichen, unerfüllbaren Leidenschaft zu Käthchen, und mehr noch am Pathos seiner eigenen Worte. Die Liebenden als infantile Schwärmer, die romantische Erfüllung streng systemkonform; das Happy End, schon bei Kleist nicht ganz behaglich, wird da zum stockenden, hohlen Versprechen: „Mir ist nicht wohl“, ist Käthchens letzter Satz, da hat sie schon das Brautkleid an.

Slapstickmomente

Diesem ungemütlichen Schluss geht zwei Stunden lang ein rabiat gestrafftes und von gut 40 auf 11 Protagonisten reduziertes Stück voran. Das Weitschweifige, Weihevolle an Kleist mächtigem Bühnentext ist sorgfältig ausgeputzt, dafür setzt Bösch immer wieder wuchtige Bilder, lässt erst dicke, weiße Polster vom Schnürboden herunterplatschen, später schwarze Asche regnen, sorgt für überraschenden Wortwitz und, vor allem im Zusammenspiel von Frick und Krüger, für deftige Slapstickmomente. Dazwischen werfen in düsterster Bunkeratmosphäre (Bühne: Patrick Bannwart) kleine Menschen große Schatten (Licht: Friedrich Rom).
Viel Raum gibt Bösch Käthchens Gegenspielerin, dem einzigen Farbklecks in dieser grauschmierigen Welt: In fuchsroter Perücke kostet Dörte Lyssewski Kunigundes Künstlichkeit und Tücke genießerisch aus. Martin Schwab holt sich in einem Kurzauftritt als Dandy-Kaiser mit pikanten Erinnerungen Szenenapplaus ab, Falk Rockstroh berührt als verzweifelt liebender Vater: Der einzige, der in dieser Infantilgesellschaft von Schwärmern, Intriganten, Triebsklaven verantwortungsvoll handelt, verliert seine Tochter an sie.