Für den deutschen Literaturwissenschaftler und Autor Karl Corino ist das Klagenfurter Musilinstitut das „beste Forschungsinstitut der Welt“. Bei der Verleihung des Ehrendoktorats der Klagenfurter Universität kündigte der Musil-Biograf an, seinen Nachlass dem Kärntner Literaturarchiv im Musilinstitut zu vermachen. Eine weitere schöne Bestätigung für Klaus Amann, der einst einen günstigen Augenblick zur Gründung des Instituts nützte und im Herbst als dessen Leiter in Pension gegangen ist. Nach Kärnten verschlug es den Vorarlberger Klaus Amann 1976. Auf Anraten eines Kollegen hatte er sich an der Universität Klagenfurt beworben. Es gab 17 Bewerbungen und Amann hat es „als absoluten Glücksfall empfunden, dass ich genommen wurde.“ Die Klagenfurter Germanistik war gerade im Aufbau, hatte Dank Friedbert Aspetsberger und Alois Brandstetter bereits einen exzellenten Ruf.

Wenn Sie an die Siebzigerjahre zurückdenken – wie war das damals?
KLAUS AMANN: Wir haben versucht, den Begriff der österreichischen Literatur neu zu fassen. Er war zum Teil stark an den Habsburger Mythos geknüpft, der seinerseits schon wieder historisch war. Unsere Definition war formal- und sozialgeschichtlich: jeder, der in Österreich geboren ist, hier lebt und hier schreibt, kann als österreichischer Autor bezeichnet werden. Mit unserem dezidierten interesse für die sozialen historischen und politischen Rahmenbedingungen der Literatur, haben wir uns binnen kürzester Zeit einen Namen gemacht. Der damalige Rektor Ebenbauer der Wiener Universität hat auf die Frage einer TV-Journalistin, was er tun würde, wenn er noch einmal studieren würde, gesagt: Germanistik in Klagenfurt. Das ist ein Hinweis auf die Position die wir hatten.
Franz Schuh hat in Zusammenhang mit den sozialgeschichtlichen Methoden sogar von einer Klagenfurter Schule gesprochen.
AMANN: Ja, er hat tatsächlich von einer Schule gesprochen. Aspetsberger, Berger, Lengauer, Frei und ich haben diesen sozialgeschichtlichen Blick auf die Literatur forciert. Für mich ist das so geblieben, insbesondere bei meinem größten Projekt, Nationalsozialismus und Literatur in Österreich. Ich war wohl der erste, der das systematisch erforscht hat. Seit Ende der 1970er Jahre habe ich die einschlägigen Akten und Materialien in den großen österreichischen und bundesdeutschen Archiven gesichtet. das hatte sich bis dahin niemand angeschaut: wie sich ab etwa 1927 die österreichische literarische Szene verändert, wie sie sukzessive von den Nazis unterwandert worden ist; ebenso, was sich nach dem Anschluss getan hat und wie der Literaturbetrieb in der Ostmark funktionierte. Das war meine Habilitationsarbeit, die auch als Buch sehr erfolgreich war. Literatur und Politik ist mein Lieblingsthema geblieben. Auch zum politischen Musil gibt es ein Buch von mir.


Als Sie diese Methode auf Josef Friedrich Perkonig angewandt haben, stieg Ihr Bekanntheitsgrad in Kärnten sprunghaft an. Für die „Kärntner Nachrichten“ waren Sie ein „dahergelaufener Leichenfledderer“.
AMANN: Perkonig galt ja nur in Kärnten selbst als bedeutender Autor. Er war ein Mitläufer, dem man alles verziehen hat. Perkonig war Illegaler, Parteimitglied, Volkspolitischer Referent, ist im Klagenfurter Gemeinderat gesessen, war Landtagsabgeordneter und nach 1945 auch eine große Nummer. Haider hat in den 90er Jahren Perkonig als Schullektüre empfohlen, was er bei keinem anderen getan hat. Nicht bei Lavant, nicht bei Bachmann, Guttenbrunner, Handke, Kofler, Lipu(s), Janu(s). Was mich gereizt hat, dieser Frage nachzugehen war der Zusammenhang zwischen Werk und öffentlicher Geltung. Perkonig hat ja jeweils geschrieben, was die Leute lesen wollten. Ganz anders als etwa Lavant, welche die sozialen Verhältnisse sehr realistisch geschildert hat oder Bachmann, die als eine der ersten überhaupt gegen Krieg und Nationalsozialismus schrieb. Auch bei Handke ist das völlig eindeutig, schon in den „Hornissen“. Ebenso ist bei Josef Winkler die Position gegen den Nationalsozialismus eindeutig. Interessant in Kärnten ist, dass entgegen dem was die Autoren geschrieben haben, Nationalismus und Slowenenfeindlichkeit und punktuell auch die Ewiggestrigen bis in die 90er Jahre ein Faktum und ein politischer Faktor waren. Ich habe mich immer auch als einer verstanden, der mit historischen Argumenten dagegen angeht. Um es mit Musil zu sagen: Der Nationalismus ist eine Geisteskrankheit.
Hat Sie die mediale Gegenkampagne zu Ihren Perkonig-Betrachtungen überrascht?
AMANN: Schon. Weil auch Leute aus meinen Lehrveranstaltungen dabei waren. Aber mir war klar, dass ich da eine Ikone vom Sockel hebe. Perkonig war ein Beispiel, für das was ich sichtbar machen wollte: Wie nahtlos Autoren, die tief in den Nationalsozialismus verstrickt waren, nach 1945 weitertaten. Ich wusste, dass ich der erste war, der sich die Akten angeschaut hat und, dass ich alles belegenkonnte. Bis hin zu dem Punkt, dass es keinen Beweis in den Akten gibt, dass Perkonig seinen Protest gegen die Aussiedlung der Slowenen dem Gauleiter tatsächlich übergeben hat. Die akribischen Kärntner Historiker haben mir nicht widersprochen.
Wie stößt man als Germanist in Kärnten überhaupt auf die hier lebenden slowenischen Autoren?

AMANN: Als Vorarlberger, der nach Kärnten kommt, habe ich kaum mehr gewusst als dass es eine Minderheit gibt und natürlich vom sogenannten Ortstafelsturm. Aber ich hatte keine Vorstellung von der Dimension. In der Fischlsiedlung habe ich den „Ruf der Heimat“ als Postwurfsendung bekommen und immer von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen. Wie in diesem Blatt gehetzt wurde, fand ich wirklich skandalös. Ich erinnere mich an einen Artikel über die Aussiedlung, in dem es hieß, die Slowenen sollten endlich eine Ruh geben, die Lager seien eh pikobello gewesen, der beste Beweis dafür sei, dass mehr Slowenen zurückgekommen sind als ausgesiedelt wurden. Da bin politisch hellhörig geworden. Ich habe in den 1980ern die Lesungen des ‚Literarischen Arbeitskreises in der Landhausbuchhandlung organisiert. Die haben damals ein halbes Jahr gebraucht, bis ich die Erlaubnis bekam, dass Kärntner Slowenen auftreten durften.Solche Erfahrungen haben auch aufgrund meines familiären Hintergrunds Solidaritätsgefühle geweckt. Ich bin ein ziemlich empfindlich gegen Ungerechtigkeit und das Herabwürdigen von Menschen.
Erzählen Sie bitte etwas über Ihren familiären Hintergrund.
AMANN: Mein Vater war Invalide, ein Wegmacher. Wir haben zu den Ärmsten im Dorf gehört. Das soziale Ausgegrenztsein in einem Ort mit blühendem Fremdenverkehr, viel Hotellerie und reichen Bauern – das kenne ich. Wie meine Geschwister auch. Ab dem siebenten Lebensjahr haben wir praktisch Kinderarbeit verrichtet, auf den Almen und in den Pensionen. Diese Erfahrung hat mir, glaube ich, bei der Betrachtung der Literatur und der Kärntner Verhältnisse viel geholfen.
In der Fischlsiedlung haben Sie sich eine Wohnung mit Josef Winkler geteilt. Wie war das?
AMANN: Es war völlig unkompliziert und nicht unlustig. Er hatte sich schon als Schreibkraft von der Uni karenzieren lassen, um an „Menschenkind“ zu schreiben. In der Früh, wenn ich ging, war er noch nicht auf, und am Abend ist er vor seiner elektrischen Kugelkopfschreibmaschine gesessen. Es hat nur so gerattet. So um elf oder zwölf ist Winkler meist ziemlich bleich aus seinem Zimmer gekommen und hat sich dann ins Nachtleben gestürzt. Wenn wir geredet haben, dann über Literatur, er hat mir Lesetipps gegeben. Er hat mich gebeten, sein erstes Manuskript zu lektorieren. Ich habe es dann Martin Walser geschickt, der es an Unseld beim Suhrkamp-Verlag weitergeleitet hat.
Wie kam es zur Gründung des Musilinstituts?
AMANN: Ich habe versucht, eine berufsrolle zu finden, wie sie Wendelin Schmidt-Dengler stark geprägt hat. Für ihn galt: ein Literaturwissenschafter sitzt nicht nur in seinem Kämmerlein und schreibt, sondern er ist Teil des literarischen Lebens. Das hat mich bestärkt, Literaturkritiken zu schreiben und mich wissenschaftlich für die Literatur zu engagieren, als Literaturkritiker, Juror, als Mitarbeiter des ORF, als Veranstalter. Dazu kommt, dass es faszinierend ist, die Menschen hinter den Texten kennenzulernen: Michael Guttenbrunner, Heimrad Bäcker, Friederike Mayröcker, Bodo Hell, Evelyn Schlag, Michael Köhlmeier, Werner Kofler, Gert Jonke, Antonio Fian, Peter Turrini, Gustav Januš, Florjan Lipuš. Diese Menschen haben mich, auch durch ihr Besipiel, in meinem Eigensinn und in meiner politischen Haltung bestärkt. Über ziemlich einige habe ich Bücher gemacht; und früh festgestellt, dass Kärnten ein Literaturhaus, ein Literaturarchiv und ein Forschungsinstitut braucht. Anfang der 90er Jahre hat sich ein günstiger Moment ergeben. Ich bin Anhänger des griechischen Gottes Kairos, das ist der Gott für den günstigen, glücklichen Augenblick.
Der günstige Moment zur Gründung des Musilinstituts fiel exakt in die Zeit zwischen den Landeshauptmannschaften Jörg Haiders.
AMANN: Genau. Die Universität war sehr dahinter, Wissenschaftsminister Busek hat auf Begriffe wie Alpen-Adria und Mitteleuropa positiv reagiert, die Stadt 23 Millionen Schilling in Umbau des Hauses investiert, das Museum generalsaniert und neu gestaltet. Für mich war das die Bündelung aller Interessen, die ich hatte: Sich um die Literatur kümmern, die an diesem Ort entstanden ist und entsteht, Germanistik als Wissenschaft, die ein Bewusstsein hat für den Ort, an dem sie sich befindet, dazu Archiv und Veranstaltungen.

Haben Sie den Eindruck, Veränderungen bewirkt zu haben?
AMANN: Man muss sich vorstellen, dass 1997, als das renovierte Musilhaus eröffnet wurde, allein die Tatsache, dass Florjan Lipuš fünf Sätze Slowenisch sprach, in denen er erklärt hat, warum er seinen Vortrag auf Deutsch halten wird, zu einem Skandal geführt hat: Zwei ÖVP-Gemeinderäte haben den Stadtsenat zu einer Protest-Erklärung veranlasst. Das ist keine 20 Jahre her. Heute sind auch rein slowenische Veranstaltungen selbstverständlich. Damals hat die Stadt Klagenfurt sogar die finanziellen Mittel für das Lipuš-Symposion verweigert, das 14 Tage später stattgefunden hat. Es hat sich, zum Glück, vieles geändert, aber vergessen wir nicht: Zwei Generationen sind nach dem Zweiten Weltkrieg sind mit diesen Kränkungen im Alltag augewachsen. . .
Sie gehören zum kleinen Kreis jener, die sich bemühen, dem 8. Mai einen Stellenwert zu geben.
AMANN: Vom ersten Jahr an haben wir das im Musilinstitut bewusst gepflegt bis hin zu dem Vorschlag, den 10. Oktober durch den 8. Mai zu ersetzen, was mir logisch erschien - den Tag der Befreiung vom nationalsozialismus, der soviel Unheil über das Land gebracht hat.
Was lähmt das Land? Man hat zunehmend den Eindruck, es kommt auch unter den neuen politischen Verhältnissen nicht aus seiner Starre heraus.
AMANN: Was die Literaturförderung betrifft, habe ich das Gefühl, das größte Problem der Kulturpolitik ist, dass die Literatur immer ein Spielball der Politik war. Es ist kein Zufall, dass nach 1945 über Jahrzehnte hinweg die Kulturpolitik immer zum LH gehört hat. Die Schriftstellervereine sind immer am Seil geführt worden und man hat Almosen ausgeteilt. Durch die Politik der Hasardeure in den letzten 20 Jahren ist auch zu wenig Geld vorhanden, um etwas Substanzielles machen zu können. Natürlich hat die Literaturszene kurz aufgeatmet, aber jetzt kommt halt wieder das Brauchtum zu Zug.
Kommt es auch vor, dass Sie ein Buch zu Ihrem privaten Vergnügen lesen?
AMANN:
Das Schöne ist ja, dass es mir gelungen ist, das was ich gern tue, Lesen und Schreiben und etwas Bewegen, zu meinem Beruf zu machen. Da waren, zum Leidwesen meiner Familie, privat und Beruf nie getrennt. Selbst die jahrelange öde Beschäftigung mit Nazi-Literatur war mit dem angenehmen Gefühl verknüpft: Vorbei. Ich lese und schreibe nur auf, was war.