Händel soll Ohrfeigen bekommen haben, wenn er heimlich übte, weil sein Vater wollte, dass er besser „etwas Gescheites“ wie die „Juristerey“ lernt. Bei Ihnen zu Hause gab es keine schwarze Pädagogik, oder?
KONRAD JUNGHÄNEL (lacht): Nein! Ich war das jüngste von fünf Kindern aus einer Familie, die sich mit früher Musik vom 13. bis zum 16. Jahrhundert beschäftigte. Das war sehr ungewöhnlich in einer Zeit, in der selbst die heute Großen noch sehr klein waren. Etwa Nikolaus Harnoncourt oder Gustav Leonhard, mit denen meine Eltern in regem Kontakt standen.
Und Ihnen wurde als Sechsjährigem eine Laute in die Hand gedrückt – seltsam, oder?
JUNGHÄNEL: Ja, alle anderen Instrumente waren schon an meine Geschwister vergeben. Jurist wollte ich übrigens nie werden, aber Kapitän, also fuhr ich als 15-Jähriger zwei Monate zur See. An Bord herrschte jedoch nur das Gesetz des Stärkeren, da war’s mit dem Plan auch schon wieder vorbei. Musik wollte ich zunächst allerdings auch nicht studieren, sondern Brückenbauingenieur.
Wie kam es doch zur Wende?
JUNGHÄNEL: Indem mich mein privater Lautenlehrer einlud, mit 17 das Studium an der Universität zu probieren. Dort suchte bald ein kleines Ensemble einen Lautenisten für eine zweimonatige Südamerika-Tournee. Das war’s – gereist bin ich nämlich schon immer gerne. Ich bin also ein schlagendes Beispiel dafür, dass man als Musiker für eine Karriere nicht vom lieben Gott oder der Muse geküsst werden muss.
Der Cantus Cölln, ein fünfköpfiges Vokalensemble mit Ihnen an der Laute, wurde 1987 zu Ihrer musikalischen Herzkammer. Vor 15 Jahren wechselten Sie ans Pult. Wie schwierig war der Umstieg?
JUNGHÄNEL: Es war ein sehr großer Schritt für mich, weil die Musiker, mit denen ich bis dato zu tun hatte, die gleiche Sprache wie ich sprachen. Ich hatte natürlich zuvor schon in vielen Barockopern selber mitgespielt. Entscheidend für meinen Einstieg war Regisseur Herbert Wernicke, der mich ans Theater Basel einlud – da dirigierte ich „Wie liegt die Stadt so wüste“, ein Antikriegsstück mit Sakralmusik von Gabrieli und Schütz, eines der schönsten Projekte, die ich je gemacht habe.
„Ohne Bezug zur Gegenwart ist jede Aufführung sinnlos“, postulieren Sie auf Ihrer Homepage.
JUNGHÄNEL: Kunst ist natürlich zum Genießen da, es braucht aber auch die intellektuelle Auseinandersetzung. Und die ist nur durch intelligente Verbindung zum Heute möglich. Darum soll man auch Alte Musik nicht ins Museum, sondern zum Leben bringen. Für deren Wiederentdeckung mussten erst Leute wie Harnoncourt kommen und auf den Tisch hauen. Lange Zeit war man ja mit völlig untauglichen Mitteln an die alten Werke herangegangen und hatte einen großen, zähen Brei über diese Wortmusik geschüttet. Monteverdi etwa war nicht nur der erste, sondern auch der größte Dramatiker der Opernwelt, aber man muss ihn adäquat spielen, sonst ist seine Musik tot. Händel ist unglaublich aufregend, Barock ist Rock, ist Pop. Warum wird so viel Barockmusik verrockt? Weil Rhythmus und Drive ähnlich sind.


Der „Xerxes“, den Sie mit Regisseur Stefan Herheim schon an der Komischen Oper Berlin und an der Deutschen Oper am Rhein gezeigt haben, handelt vom Bruderzwist im Hause Persien und wie so oft bei Händel von den Irrungen und Wirrungen der Liebe. Was erzählt uns denn die Geschichte heute?
JUNGHÄNEL: Im Programmheft der Düsseldorfer Produktion war ein Kritiker aus Händels Zeit etwa so zitiert: „Der Inhalt von ,Xerxes’ ist so sensationell sinnlos, dass es überflüssig ist, ihn zu verstehen.“ Den historischen Perserkönig wird man also vergebens suchen. Dafür umarmt Xerxes gleich in der berühmten Eingangsarie „Ombra mai fu“ eine Platane und gesteht ihr seine Liebe.
Völlig plemplem also?
JUNGHÄNEL: Genau. Das ist ja auch der Ansatz: Die verrückten Spielchen um Liebe, Lust und Launen, ganz aus dem Leben gegriffen. Für Stefan Herheim ist der „Xerxes“ eine „barocke Muppet-Show“ und wir garantieren, dass es viel zu lachen gibt. Wir haben den „Serse“ ja gemeinsam ins Deutsche übersetzt und uns für die Fassung eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit gegönnt, damit Sprachwitz und musikalischer Witz ideal zusammengreifen.
Eineinhalb Jahre, ein Luxus!
JUNGHÄNEL: Nein, eine Verpflichtung! Wir Künstler werden ja gut bezahlt dafür, dass wir intensiv und ernsthaft arbeiten. Ich finde es unerträglich, wenn fünf Wochen lang szenisch geprobt wird, und ganz zuletzt rauscht der Dirigent heran und will alles anders machen – dann knallt es.
Mit den Grazer Philharmonikern haben Sie einmal mehr ein klassisches Orchester vor sich. Wie schwierig ist es denn, solchen Formationen die historische Aufführungspraxis zu vermitteln?
JUNGHÄNEL: Ich weiß aus Erfahrung, dass der Stress vor der ersten Begegnung immer groß ist. „Wir haben ja keine Ahnung von Barockmusik! – „Hoffentlich ist der Dirigent nicht zu streng!“ und so weiter. Aber nach einer halben Stunde Probe war das auch in Graz weg. So streng bin ich nämlich nicht, zumindest habe ich noch niemanden erschlagen.
Na, Xerxes ließ das Meer auspeitschen, weil es nicht so tat, wie er wollte, weil es seine eben erst errichtete Brücke verschlang.
JUNGHÄNEL: Ich bin kein Peitscher. Wenn man jemanden mitnehmen will auf seine Wege, geht es ja immer darum, dass man die Musik selber mit Herz und Hirn und mit der Seele und auch in den Gedärmen fühlt und diese Emotionen zu vermitteln weiß.
Was ein Boulevardjournalist jetzt aus diesem Satz machen könnte: „Musik, aus den Gedärmen kommend“! . . . Sie sind als Jugendlicher nicht mit Jimi Hendrix aufgewachsen, sondern mit John Dowland. Geht Ihnen Ihre Laute als Lebensbegleiterin ab?
JUNGHÄNEL: Meine Lauten hängen dekorativ zu Hause an der Wand und erfreuen sich ihres Daseins als Pensionäre. Von Zeit zu Zeit kommen sie aber noch in Schwung, denn ich konzertiere zwar selten, aber immer noch mit dem Cantus Cölln.
Nach der Berliner „Xerxes“-Premiere wurden Sie von einem Journalisten als „Spielmacher“ gelobt. Wir werden Sie also ab Samstag in der Grazer Oper als Bastian Schweinsteiger der Alten Musik mit der Rückennummer 7 einlaufen sehen. Ihre Prognose: Wie geht das Spiel aus?
JUNGHÄNEL: Wir werden siegen, auf jeden Fall, und das Publikum mit uns!

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA

Stephanie Houtzeel (Xerxes), Margareta Klobučar (Romilda), Dshamilja Kaiser (Arsamenes)
Stephanie Houtzeel (Xerxes), Margareta Klobučar (Romilda), Dshamilja Kaiser (Arsamenes) © OPER GRAZ/FORSTER