Sie war erfolgreiche TV-Moderatorin, erhielt Auszeichnungen. Auf einmal entschloss sie sich, ein Buch zu schreiben. "Feuchtgebiete" wurde ein Bestseller und ein Film. Das Moderieren gab sie inzwischen auf.

Wenn Sie heute eine junge Frau fragt: "Einen Bestseller schreiben, wie macht man das?" Was würden Sie antworten?

CHARLOTTE ROCHE: Mein erster Rat wäre: Der Trick ist, überhaupt nicht darüber nachzudenken. "Feuchtgebiete" war anfangs nicht einmal als Kurzgeschichte konzipiert. Wenn man sich also hinsetzt und beschließt, jetzt einen Hit zu schreiben - das kann nicht klappen. Meine Bücher sind jedenfalls ehrlich, ich habe meine ganze Seele reingesteckt. Ohne Rücksicht auf Verluste und negative Folgen. Dass ich zum Beispiel keine Freunde mehr haben und keinen Tisch im Restaurant bekommen würde.


Weil man Sie ob Ihrer freizügigen Schreibweise als "Schamlos-Charlotte" bezeichnete?

ROCHE: Viele dachten: Die schämt sich für nichts. Sie hat eine große Klappe und nichts ist ihr peinlich. Dabei habe ich die "Feuchtgebiete" geschrieben, weil ich mich so schämte. Ich fühlte mich unfrei und schamhaft behaftet. Deshalb war ein starker Druck da, mich davon zu befreien.

Der zweite Roman, "Schoßgebete" ist anders als der erste.

ROCHE: Richtig.

Die weiblichen Hauptfiguren in beiden Büchern haben viel von Ihnen. Hätten Sie nicht am liebsten selbst mitgespielt?

ROCHE: Hätte ich vielleicht gerne gemacht. Aber ich kann nicht schauspielern und wollte mir die Verfilmung meiner Romane nicht selbst verbocken. Außerdem: Die Hauptfigur in "Feuchtgebiete" ist Teenager, ich bin 36. Das kann ich ja gar nicht spielen. Und als ich Lavinia Wilson als Elizabeth Kiel sah, fiel ich in Ohnmacht. Weil sie so gut war. Die redet auch wie ich, ist so nahe dran, dass mir fast gruselig wurde.

Wenn einem ein Bestseller gelungen ist, wie handelt man die Filmrechte aus? Im konkreten Fall hat ja Iris Berbens Sohn Oliver den Zuschlag bekommen und sogar das Drehbuch geschrieben.

ROCHE: Ich habe natürlich auch mit anderen gesprochen, doch Oliver erwies sich dann als das krasse Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte. Nach ein paar Sätzen wusste ich, der muss die Rechte kriegen! Ich hab's ihm zwar nicht gesagt, ich habe es nur gedacht: "Mich hast du schon im Sack!"

In "Schoßgebete" erforscht die Hauptfigur ihre sexuellen Wünsche. Aber zentral ist vor allem das Thema eines Unfalls, der Ihrem eigenen Leben entstammt. 2001 verunglückten Ihr Bruder und Ihre beiden Stiefbrüder bei einer Massenkarambolage auf der Autobahn tödlich. Ihre Mutter wurde schwer verletzt. Sie waren auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit gewesen. Im Film hat Regisseur Sönke Wortmann diesen Unfall recht eindrucksvoll ins Bild gebracht. Können Sie da hinschauen?

ROCHE: Ich war ungeheuer aufgeregt, dachte: Muss ich mir das anschauen? Schließlich fand ich das aber richtig feige. Ich dachte, wer die Rechte verkauft, weiß doch sehr genau, dass das Buch verfilmt wird. Da geht das Buch dann durch zwei kreative Hände. Wer das inszenierte, wusste ja nicht einmal, wie mein Hochzeitskleid aussah. Das ist also nicht mehr Realität, sondern eine Darstellung der Sache. Beim Hinschauen setzt Entspannung ein.

Eine Katharsis also, eine Therapie?

ROCHE: Sowieso. Der Film hat auf jeden Fall weniger mit mir zu tun als die Realität. Ich persönlich beschäftige mich seit über zehn Jahren täglich mit diesem Unfall. Warum sollte mich demnach dieser Film schocken? Die wirklichen Bilder habe ich jeden Tag im Kopf, da konnte der Film gar nicht schlimmer sein.

Nach "Schoßgebete" kamen Attacken - die Hauptfigur Elizabeth würde sich den Wünschen ihres Mannes völlig unterordnen.

ROCHE: Der Mann in der Geschichte, gespielt von Jürgen Vogel, ist ein Guter. Ihr fehlt der Kontakt zur eigenen Sexualität, ihm überhaupt nicht. Er behandelt sich sehr gut. Vielleicht würde auch er sich unterordnen, wenn sie gute Vorschläge hat, aber die hat sie nicht. Und Männer, denke ich, haben mehr Sexfantasien. Vielleicht ändert sich das in ein paar Jahrzehnten.

Mit Alice Schwarzer wissen Sie nichts anzufangen?

ROCHE: Was ich geschrieben habe, war für mich eine große Befreiung vom alten Feminismus. Und weil ich so erzogen wurde, habe ich mich wahrscheinlich nach dieser Befreiung gesehnt. Der alte Feminismus ist lustfeindlich, der hilft der Frau nicht.

Man mag annehmen, dass langsam ein drittes Buch fällig ist.

ROCHE: Ich habe damit schon begonnen, musste aber wegen meiner Aktivitäten für den zweiten Film unterbrechen.

Was wird es diesmal?

ROCHE: Auf jeden Fall wieder die ehrliche weibliche Sicht der Dinge.