Frau Gambuzza, was war für Sie ausschlaggebend, sich für ein Architekturstudium zu entscheiden?

ALESSANDRA GAMBUZZA: Bereits mein Urgroßvater, mein Großvater und mein Vater waren in der Branche - ich bin praktisch in einem Architekturbüro groß geworden. Es war für mich eigentlich immer selbstverständlich, dass ich auch in diesem Bereich arbeiten will. Ich bin genau genommen Diplomingenieurin für Hochbau, habe aber auch in Richtung Architektur studiert. Nur Hochbau alleine war mir zu wenig kreativ, allerdings ist es die beste Grundlage - man braucht auch eine gewisse Kenntnis vom konstruktiven Ingenieurbau.

In welchem Bereich sind Sie heute tätig?

GAMBUZZA: Ich habe lange als Architektin gearbeitet, in der Planung, und seit ein paar Jahren bin ich in der Bauleitung tätig.

Sehen Sie Ihren einstigen Traumberuf heute anders, nach vielen Jahren Praxis?

GAMBUZZA: Ja, klar. Am Anfang denkst du: Jetzt bin ich mit der Uni fertig, fange an, entwickle Projekte und mache das, was ich mir vorstelle. In der Realität bist du anfangs ein einsamer Mitarbeiter in einem Büro und ein Architekt sagt dir, was du zu tun hast.

Das klingt desillusionierend!

GAMBUZZA: Es gibt ja auch andere Erfahrungen. Ich hatte auch Vorgesetzte, die mir halfen, mich weiterzuentwickeln, die mir die Chance gaben, selbst Entscheidungen zu treffen und eigene Vorstellungen umzusetzen.

Das heißt aber auch: Wer wirklich sein eigenes Ding machen will, muss sich selbstständig machen.

GAMBUZZA: Ja. Für mich wäre das allerdings keine Option gewesen. Ich bin nach dem Studium der Liebe wegen nach Österreich gezogen - ich konnte die Sprache nicht besonders gut und hatte anfangs auch kein berufliches Netzwerk hier.

Es war bestimmt nicht leicht, im Ausland beruflich Fuß zu fassen.

GAMBUZZA: Ich hatte in Italien gerade die Ziviltechnikerprüfung gemacht, als ich nach Wien gezogen bin. Wäre ich dortgeblieben, hätte ich vielleicht an der Universität gearbeitet. In Österreich habe ich wieder ganz von vorne begonnen - als technische Zeichnerin. Erst nach und nach habe ich es geschafft, an Projekten zu arbeiten, die meiner Qualifikation entsprechen.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist Architektur immer noch eine eher männliche Domäne. Sehen Sie das auch so?

GAMBUZZA: Das stimmt sicher. Nur ein Beispiel: Wenn du als Bauleiterin das erste Mal auf eine Baustelle kommst, denken alle zuerst, du bist entweder Sekretärin oder eine Reinigungskraft. Manche pfeifen dir hinterher. Aber nach ein, zwei Wochen wissen alle, dass ich eine kompetente Person bin, und respektieren mich.

Muss man sich als Frau verstellen, sich "männlicher" geben, um auf der Baustelle zu bestehen?

GAMBUZZA: Nein. Ich mache das nicht, gehe immer geschminkt zur Arbeit, trage auch meine High Heels. Ich möchte weiblich und gepflegt auftreten - schließlich habe ich ja auch Kundenkontakt. Auf der Baustelle schlüpfe ich dann in meine Arbeitsschuhe und setze meinen Helm auf, dann fühle ich mich nicht anders als ein Mann (lacht).

Wie sieht es bei potenziellen Arbeitgebern aus? Spielt das Geschlecht eine Rolle bei der Einstellung?

GAMBUZZA: Es ist schon schwierig, einen Chef zu finden, der einer Frau - noch dazu, wenn sie Kinder hat - zutraut, eine leitende Position zu bekleiden.

Ihnen ist das gelungen. Sie haben eine Tochter und einen Sohn im Alter von neun und zehn Jahren und arbeiten Teilzeit.

GAMBUZZA: Ich arbeite 30 Wochenstunden und kann auch vieles von zu Hause aus erledigen. Ich kenne ja meine Baustellen - wenn ein Mitarbeiter anruft, weil Fragen auftauchen, kann ich das meistens auch so lösen. Das Wichtigste ist, dass alle zusammenarbeiten - alleine kann man keine Häuser bauen. Ohne Team bist du nichts.

Wie muss man sich einen Ihrer typischen Arbeitstage vorstellen?

GAMBUZZA: Ich stehe zwischen 6 und 6.30 Uhr auf, bereite das Frühstück vor, dann sitzt die Familie gemeinsam beim Frühstück. Um 7.45 Uhr liefere ich die Kinder bei der Schule ab und gehe dann auf die Baustelle. Es gibt eine Besprechung mit dem Team, Polier, Maler, Elektriker kommen und wir besprechen, was anfällt. Ich mache meine Kontrollrunde, mache Notizen fürs Bautagebuch, treffe manchmal Kunden vor Ort. Normalerweise bin ich dann gegen 15 Uhr wieder zu Hause und kann mich neben der Arbeit, die von dort erledigt wird, meinen Kindern widmen.

Sind Ihre Kinder stolz auf Ihre Arbeit?

GAMBUZZA: Ja, sehr. Wenn sie mit auf die Baustelle kommen und sehen, dass ich dort eine wichtige Person bin, gefällt ihnen das schon. Meinen Mann sehen Sie nur am PC sitzen - er ist IT-Manager. Mein Sohn fragte ihn einmal: "Mama baut Häuser - was machst eigentlich du, Papa?" (lacht).

Gibt es ein Projekt, auf das Sie besonders stolz sind?

GAMBUZZA: Ja, die Ende 2013 abgeschlossene Sanierung eines wunderschönen Altbaus am Schillerplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk. Die Bauleitung bei diesem Objekt, in dem 28 Luxuswohnungen entstanden, war eine spannende Aufgabe.

Befassen Sie sich lieber mit Neubauten oder mit der Revitalisierung alter Bestände?

GAMBUZZA: Beides ist interessant, aber alte Gebäude haben ihren ganz eigenen Charme. Sie haben eine Geschichte, das liebe ich sehr. Man hat früher wirklich gut gebaut und muss alten Bestand nutzen, damit nicht alles verfällt.

Haben Sie ein berufliches Vorbild?

GAMBUZZA: Meinen Vater. Er war bereits mit 24 Jahren Direktor der technischen Abteilung an der Universität Catania.

Welcher Aspekt an Ihrer Tätigkeit ist für Sie der schönste?

GAMBUZZA: Wenn du ein gutes Team zu Hause und im Beruf hast und einen Chef, der an dich glaubt, kannst du wunderschöne Sachen machen.