Haben Sie Zirkusblut in der Familie, Herr Paul?

BERNHARD PAUL: Meine Mutter war Tochter eines Schuldirektors, mein Vater Sohn eines Porzellanmalers. Die Großeltern hatten neun Kinder. Mein Vater wurde Elektriker, hat sich weitergebildet, sorgte für Installationen bei der EXPO in Brüssel, später war er auch Journalist.

Woher also die Sehnsucht von Klein Bernhard nach dem Zirkus?

PAUL: Sie sagen es richtig, Klein Bernhard. Denn ich war sechs, als ich den berühmten Grock zum ersten Mal sah. Und ab diesem Moment war alles andere aus und vorbei. Ich beschloss: Ich will Clown werden. Ging das dann auch so einfach?

PAUL: Andere mögen ihre Kindheitsträume vergessen. Ich nicht. Aber zuerst musste ich etwas "Vernünftiges" lernen. Mein Onkel besaß eine Baufirma in Wilhelmsburg, hatte aber keine Kinder. Und so wurde beschlossen: "Der Bernhard geht an die HTL nach Krems!" Meine Begabung lag aber nicht auf diesem Gebiet. Der Zeichenlehrer meinte, ich gehöre nach Wien an die Graphische. Dort fand ich mich zwischen Deix, Helnwein und anderen großen Namen wieder. Talente, wie es sie so gebündelt kaum je in einer einzigen Klasse gab. Die meisten von uns aber machten die Ausbildung nicht fertig. Dennoch gibt es heute dort noch eine Wand, auf der alle verewigt sind, die etwas wurden.

Bevor aus dem Zirkustraum etwas wurde, waren Sie noch Art Director beim "profil".

PAUL: Wo ich dafür sorgte, dass auch Deix und Helnwein ordentlich beschäftigt wurden.

Wann erfolgte dann die Initialzündung für den Zirkus?

PAUL: Ich ging in der Lobau spazieren, dachte daran, ein Schrebergartenhäusl zu erwerben. Plötzlich sah ich einen alten Zirkuswagen. Ich kaufte ihn und wollte ihn in meinen Garten stellen. Er ging jedoch nicht durch mein Tor in der Hüttelbergstraße. Gott sei Dank war gegenüber ein Campingplatz, und der Campingwart ließ mich den Wagen abstellen. Er wurde bald morsch, dann schenkte ich ihn einem Journalisten - inzwischen besaß ich schon drei, vier weitere Exemplare und sagte mir: "Jetzt brauch ich nur noch ein Zelt." Also besuchte ich Dr. Karlheinz Oertel, den Werbechef der Raika, wo ich Kunde war, bat ihn: "Ich gründe mit dem André Heller einen Zirkus, würden Sie uns ein Zelt sponsern?" Ich hatte Glück. Oder auch nicht.

Inwiefern?

PAUL: Unsere Geburtsstunde schlug beim steirischen herbst 1976 in Graz. Leider passierte es, dass Heller bei der Pressekonferenz sagte: "Wir haben den Zirkus nach dem Papst Roncalli benannt, weil der mich immer an einen Clown erinnert." Bumm! Am nächsten Tag meldete sich Oertel: "Aber ihr wisst schon, welche Kundschaften unsere Bank hat." Das hieß, das Zelt war weg. Es folgte eine schmerzvolle Zeit.

Und der eigentliche Durchbruch kam wann?

PAUL: 1980 in Köln. Ein legendärer Start. In der Folge waren wir auch der erste westliche Zirkus in Moskau. Da gab's einen Mordswolkenbruch, aber die Russen schickten uns die Rote Armee, die innerhalb von drei Tagen den ganzen Platz betoniert hat.

Bernhard Paul, der Clown, war zunächst nicht eingeplant?

PAUL: Ich hatte erst meinen Traumclown, Fredi Codrelli, engagiert. Dann Arturo Strohschneider, der vor dem Kaufhaus Herzmansky in Wien so schön die Singende Säge spielte. Er wurde mein Weiß-Clown. Fehlte nur noch ein dritter nach dem Vorbild der Commedia dell'arte. Ich suchte lang und vergeblich, bis der Fredi meinte: "Mach's doch du!" Es sollte nur eine kurzfristige Lösung sein, doch mittlerweile wurden daraus fast 40 Jahre.

Heute kennt man den Cirque du Soleil - und den Circus Roncalli. Der wesentliche Unterschied?

PAUL: Der Cirque du Soleil geht einen anderen Weg. Die haben mittlerweile 25 Truppen und für jeden nur möglichen Job eine eigene Person. Ich aber bin das alles in einem. Sozusagen eine Bündelung von Berufen. Regisseur, kaufmännischer Direktor, Geschäftsführer, Wirtschaftsexperte, Marketingchef, federführender Pressechef. Der Vorteil ist, dass auf diese Art alles wie aus einem Guss wirkt. Und was ich an der HTL lernte, kam mir auch schon zugute, indem ich eine Vorrichtung erfand, durch die es oben in der Kuppel nicht einen argen Hitzestau gibt. Die Roncalli-Kuppel, ein Prototyp, ging in Italien in serienmäßige Erzeugung.

Der Circus Roncalli hat ein nostalgisches Image.

PAUL: Ja, ich bin der Meinung, ein Zirkus soll aussehen wie die Mailänder Scala und nicht wie ein futuristischer Eissalon. Ich habe in all den Jahren unendlich viele Requisiten zusammengetragen, das Ganze ist faktisch ein Museum, doch mit hochmodernem Innenleben.

Wie würden Sie einen guten Zirkusdirektor beschreiben?

PAUL: Ich vergleiche ihn immer mit den großen Küchenchefs. Alle haben dieselben Lebensmittel. Doch die Kunst ist, was sie daraus machen.