Frau Uhlig, wie gehen wir Menschen mit unserem Zeitbudget um?
BEATRIS UHLIG: Wenn man uns Menschen diesbezüglich beobachtet, dann stellt man schnell fest, dass es Gruppen gibt, die sich ähnlich verhalten. Betrachtet man das Ganze etwas grob, dann sieht man Pünktliche und Unpünktliche, Ordentliche und scheinbare Chaoten. Stellt man den Blickwinkel etwas feiner, finden sich auch noch weitere Gruppen, die so genannten Mischtypen.
Zeittyp ist zentraler Begriff in Ihrem Buch. Welche Zeittypen gibt es?
UHLIG: Schwarz-weiß gedacht, gibt es zwei Gruppen. Die eine sind die so genannten Monochronen. Das heißt übersetzt "Ein-Zeitler". Und das passt, denn sie scheinen eins zu sein mit der Zeit – immer pünktlich, organisiert, strukturiert und ordentlich. Im Gegensatz dazu haben wir die Polychronen, was so viel bedeutet wie "Viel-Zeitler". Sie surfen mehr durch die Zeit und gehen völlig anders mit ihr um. Pünktlichkeit hat keinen wirklichen Wert, wichtiger ist, dass der Tag ein guter ist. Auch ihr Ordnungslevel ist ein anderes und sie werden stärker gelenkt von dem, worauf sie gerade Lust haben. Kreuzungen dieser Grundtypen sind die Mischtypen.
Ist ein Typ dem anderen überlegen?
UHLIG: Nein, beide Zeitprinzipien stehen sich völlig gleichberechtigt gegenüber. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Natürlich ist das Prinzip der Einzeitler das effizientere, aber auch das anstrengendere und weniger entspannte. Die Entspannung ist eher auf der Seite der Vielzeitler. Der Punkt ist aber ein ganz anderer: Frei im Umgang mit Zeit sind beide Typen nicht, weil sie einfach nur in ihren Mustern festhängen.
Was bedeutet freier Umgang mit Zeit dann eigentlich?
UHLIG: Freien Umgang mit Zeit haben wir nur dann, wenn wir aus den Mustern heraus treten. Also: Wenn wir je nach aktueller Situation frei auf das passendere Zeitprinzip zugreifen. Wenn ich morgen einen Termin habe, macht es Sinn, mich dem gegenüber zu verhalten wie ein Einzeitler. Komme ich aber in einen Stau oder sitze auf einem Kindergeburtstag, macht es eben mehr Sinn, mich wie ein Vielzeitler zu verhalten. Dieses Verhalten bildet einen eigenen Zeittypen, den "Unichronen".
Lässt sich ein Zeittyp umpolen, bzw. soll man das überhaupt anstreben?
UHLIG: Ein komplettes Umpolen macht keinen Sinn. Denn was hab' ich schon gewonnen, wenn ich aus einer Unfreiheit in die andere wechsle? Sinnvoll ist, das Gegenstück meiner eigenen Zeitwelt zu stärken. Bin ich also durch und durch ein Einzeitler, sollte ich lernen, was Entspannung bedeutet und was es heißt, Dinge gelassen anzugehen. Bin ich ein superentspannter Vielzeitler, dann liegt mein Gegenstück in der Anspannung und Gezieltheit.
Wird Zeitmanagement generell über­bewertet oder eher unterbewertet?
UHLIG: Ich glaube weder noch. Für mich stimmt nur der Fokus nicht. Alle Empfehlungen des klassischen Zeitmanagements sind Erfindungen von Monochronen. Das heißt: Als Einzeitler verfeinere ich mit einem Buch oder Training quasi mein eigenes Zeitsystem. Und als Vielzeitler soll ich möglichst schnell zum Einzeitler konvertiert werden. Das funktioniert nicht. Ich glaube, dass modernes Zeitmanagement berücksichtigen muss, aus welcher Zeitwelt jemand kommt.
Zeittypen im Job – wie sieht es da aus?
UHLIG: Internationale Unternehmen kommen quasi täglich in Vollkontakt mit den Zeittypen. Wenn also Unternehmen aus dem monochronen Mitteleuropa mit Geschäftspartnern aus Indien, China oder einer anderen polychronen Kultur zusammenkommen, dann wird sich zeigen, wie gut sie mit der anderen Zeitwelt umgehen können. Aber auch innerhalb eines Unternehmens findet man sie. Deshalb sollte man gemischte Teams aus Einzeitlern und Vielzeitlern bilden. Das erzeugt Reibung, aber auch Annäherung.
INTERVIEW: CHRISTIAN KÖSSLER