. . . seine Jugend:

Ich war ja Waldorfschüler und könnte noch heute meinen Namen tanzen (lacht). Aber ich flog von allen Schulen. Dann arbeitete ich bei H&M – einen Tag lang. Meine Mutter dachte schon, ich lande auf der Straße. Das Einzige, was mir zu der Zeit Halt gab, war eine Mittelformatkamera, die ich heute noch benutze.

. . . seinen Karrierebeginn:

Ich machte mich 1989 mit 1000 Mark in der Tasche nach New York auf, wohnte in Jugendherbergen und rief einen Fotografen nach dem anderen an, ob er einen Assistenten bräuchte. Bei manchen mehrmals, und um die Chancen zu erhöhen, änderte ich sogar meinen Vornamen: „Hallo, hier spricht Markus!“ – „Hallo, hier spricht Stefan . . .“ Schließlich klopfte ich einfach beim Studio des berühmten Steven Meisel an, und ein Mitarbeiter staunte: „So ein frecher Kerl! Na, dann komm doch mal rein!“ Das war’s.

. . . Prominente vor der Linse:

Jedes Bild ist das Dokument einer Begegnung. Ich erlebe sie alle: die Zerbrechlichen, die Extrovertierten, die Selbstbewussten. Emma Watson wirkt wie ein liebes, sensibles Schulmädchen. Mickey Rourke schlug mir einmal ein Polaroid von ihm aus der Hand und warnte mich: „Zeig mir nie wieder ein Foto von mir!“ David Beckham wollte ich einmal à la „Soldat James Ryan“ mit Stahlhelm dreckig und blutig zeigen, dazu sollte er sich Worcestersauce über den Kopf schütten. Zunächst weigerte er sich, aber nach den Aufnahmen saßen wir beim Essen, und Beckham schüttete sich die Sauce selber drüber.

. . . Flexibilität:

Lachende Gesichter vor weißem Hintergrund interessieren mich nicht. Inszenierung ist mir wichtig, aber am meisten zählt das Gegenüber, und man muss flexibel sein. Für Charlize Theron mietete ich für ein Fotoshooting eigens eine U-Bahn-Station in Brooklyn – großes Kino, mit Nebelmaschine und so. Dann ließ sie ausrichten: „Ich geh nicht nach Brooklyn!“ Also machten wir die Session in einem Studio in Manhattan, und weil ihr auch die bereitgestellte Kleidung nicht gefiel, lieh ich einfach aus einem Hotel Bettlaken aus, in die sie sich wickelte. Theron hat eine Ausstrahlung vor der Kamera, die findest du kaum ein zweites Mal.

. . . die Reichen und Schönen:

Viele genießen ihren Status, viele leiden aber auch unter der Kluft zwischen dem, was sie sind, was sie sein müssen, was wir als Publikum von ihnen erwarten und was sie zumeist gar nicht erfüllen können. Als Fotograf frage ich mich dann natürlich: Wie weit bediene ich diese Klischees, die Bedürfnisse einer Gesellschaft? Fotografie war immer das Fernglas der Mittelklasse.

. . . Konkurrenz in der Branche:

Wir Fotografen tragen ja Rückennummern. Zu Shootings mit Prominenten werden oft drei Kandidaten geladen, und dann wird einer auserwählt. Fällt man mehrmals raus, hat man bald verspielt. Für Coverfotos für die „Vogue“ kriegt man übrigens gar nichts bezahlt, weil das Magazin argumentiert, dass so ein Auftrag ohnehin Ehre und die beste Werbung für uns Fotografen sei.

. . . junge Models:

Die meisten kommen aus zerbrochenen Elternhäusern, haben Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Liebe. An die Fotografen kommt quasi die Aufforderung: „Mach mich berühmt!“ Aber kann man die Defizite, die Einsamkeit der Models mit seiner Arbeit ausgleichen? Da herrscht oft emotionale Hochspannung, wenn man den Menschen vor sich in seiner ganzen Geschichte wahrnimmt.

. . . andere Blickwinkel:

Ich lebe ja ständig in einer Fünf-Sterne-Welt, aber ich brauche nicht immer nur glatte, frische Haut wie etwa jene von Angelina Jolie. Auch das Alte, Verbrauchte kann attraktiv sein. In Transsilvanien fotografierte ich vor Kurzem drogenabhängige Roma-Frauen in Gefängnissen, die haben Gesichter und Hände wie Baumrinden. In beiden Fällen frage ich mich: Inwieweit hat das Aussehen damit zu tun, wie der Mensch ist? Und wie kann ich das darstellen? Das ist eine große Verantwortung für Fotografen. Man ist ja auch schnell verführt, seine Eindrücke in jede Richtung zu missbrauchen, als Sensation zu verkaufen, Wünsche und Ängste zu bedienen: So möchte ich sein! So möchte ich nicht sein!

. . . Selfies & Co

Fotografie hatte nie den Status des Besonderen. Anders die Malerei. Ich bin ja Fotograf geworden, weil ich nicht zeichnen konnte. Fotografieren kann heute jeder, schon gar durch die technischen Entwicklungen. Aber wohin führt das? Zu narzisstischen Selbstdarstellungen. Früher war das Selbstporträt eine rare, hohe Kunst. Heute gibt’s Selfies. Oder Food Porn, wie ich sage: Ich schicke das Bild meiner Zwiebelsuppe in die unendlichen Weiten des WWW.

PROTOKOLLIERT VON MICHAEL TSCHIDA