EU-Sozialkommissar Laszlo Andor ist im Vorfeld der Arbeitsmarktöffnung am 1. Mai für acht neue EU-Länder eher für die Herkunftsländer als für die Zielländer der Arbeitsmigration besorgt. Wenn ein Brain Drain in gewissen Sektoren, etwa im Gesundheits- und Pflegebereich eintrete, müssten sich die betreffenden Länder und die EU Maßnahmen und Anreize überlegen, um die qualifizierten Kräfte im Land zu halten, sagte Andor heute Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien. Für Österreich hingegen erwartet der Ungar keine schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt durch die erwarteten zusätzlichen Arbeitskräfte.

Einen inneren Widerspruch in seiner Haltung sieht er nicht, da der eventuelle Brain Drain ja nur bestimmte Sektoren der Herkunftsländer betreffe. Wenn es zu einer großen Abwanderung von Ärzten und medizinischem Personal komme, gingen die Investitionen der Heimatländer in das Gesundheitssystem verloren. Und wenn Ärzte im Ausland dann in minderqualifizierten Berufen arbeiten würden, etwa im Pflegedienst, dann würden auch ihre Fähigkeiten darunter leiden, erläuterte er seine Sorge.

Bis zu 25.000 Arbeitskräfte für Österreich

Rund 15.000 bis 25.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus den acht EU-Staaten werden im ersten Jahr in Österreich erwartet, hieß es in früheren Prognosen. Für Andor wäre das die maximale Zahl, genaue Angaben könne man nicht machen. In Polen und Tschechien verlaufe die Wirtschaftsentwicklung sehr dynamisch, daher seien dort auch im eigenen Land gute Jobchancen vorhanden. Grundsätzlich geht Andor von einem "selbstregulierten" Arbeitsmarkt aus. So seien in der Wirtschaftskrise viele Jobs in westeuropäischen Zielländern der Migration verloren gegangen, viele Bürger aus den neuen EU-Ländern seien daraufhin aus Frankreich, Großbritannien oder Irland wieder nach Hause gefahren.

Bei der Arbeitsmigration hänge auch viel von der Sprache ab, so sei etwa für ungarische Zahnärzte mit Englischkenntnissen ein Job in Großbritannien oder Irland am interessantesten. Nur ein Teil der Arbeitskräfte sei überhaupt an einem Job im Ausland interessiert. Bei den Folgen für das Lohnniveau erwartet Andor nur "minimale" Auswirkungen in den Zielländern. Beim Beitritt der neuen Länder im Jahr 2004 habe es kurzfristig gar keine und mittelfristig auch praktisch keine (-0,1 Prozent) Senkung des Lohnniveaus in den Zielländern gegeben, die ihren Arbeitsmarkt sofort geöffnet hatten. In Großbritannien sei die anfängliche Skepsis gegenüber "polnischen Handwerkern" bald gesunken.

Ab 1. Mai 2011 dürfen auch Bürger aus den 2004 der EU beigetretenen Ländern Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland und Litauen unbeschränkt in Österreich und Deutschland arbeiten. Für Rumänien und Bulgarien wurde die Frist um zwei Jahre bis 2013 verlängert. Die Angst vor diesen zwei Ländern sei "übertrieben", meinte Andor, eine Arbeitsmarktöffnung auch für Rumänen und Bulgaren hätte schon früher stattfinden können. Es gebe ja bereits jetzt schon viele Arbeitskräfte aus diesen Ländern, und eine offizielle Öffnung könne eine legalisierende Wirkung haben, wenn Schwarzarbeit in ordnungsgemäße Arbeitsverhältnisse mit Sozialversicherung überführt werde, führte Andor Argumente für eine frühere Arbeitsmarktöffnung an.