Drei Monate nach dem Fund von 71 toten Flüchtlingen in einem als Schlepperfahrzeug verwendeten Kühl-Lkw auf der Ostautobahn (A4) haben fast alle Opfer wieder ihren Namen. "Wir konnten mit heutigem Tag 69 dieser Menschen konkret identifizieren", sagte Burgenlands Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil am Dienstag in Eisenstadt. Unter den in dem Lkw erstickten Menschen waren drei Familien.

In einem Fall erwarte man noch DNA-Vergleichsmaterial aus dem Irak, man glaube aber, zu wissen, wer dieser Mensch sei. Bei einem Toten habe man noch keinen Hinweis auf seine Identität, berichtete Doskozil. Man erwarte, dass es letztlich gelinge, 70 der 71 Toten zu identifizieren. Bei 44 Opfern führte DNA-Vergleichsmaterial zum Erfolg, 21 Personen wurden durch Fingerabdrücke identifiziert.

Drei Familien

Unter den Toten habe sich auch eine sechsköpfige Familie aus Afghanistan - Vater und Mutter mit drei Kindern und einem Cousin - befunden, schilderte der Polizeichef. Zwei Familien aus Afghanistan und Syrien starben ebenfalls in dem Kühl-Lkw. Auch einige Verwandtschaftsverhältnisse wurden festgestellt.

21 tote Flüchtlinge stammen aus Afghanistan, 29 aus dem Irak, 15 aus Syrien und fünf aus dem Iran. Dank sehr guter Zusammenarbeit mit den Behörden beispielsweise in Afghanistan und dem Irak sei es gelungen, alle Personen bis auf 20 in die Herkunftsländer zu überführen, erläuterte der Landespolizeidirektor. Derzeit befänden sich noch fünf Leichname in der Gerichtsmedizin in Wien, drei sollen schon bald in ihre Heimatstaaten überführt werden. 15 Opfer wurden bereits am Zentralfriedhof in Wien bestattet.

Rückblickend hatte die Schleppertätigkeit im August im Burgenland einen Höhepunkt erreicht, stellte Doskozil fest. Damals wurden seinen Angaben nach durchaus täglich drei- bis vierhundert geschleppte Menschen im Bezirk Neusiedl am See aufgegriffen. Mit dem 4. September habe sich dann die Situation im Fremden- und Asylwesen komplett verändert. An dem Tag begann Ungarn, Flüchtlinge in großer Zahl an die österreichische Grenze zu bringen.

Nach dem Fund der Toten am 27. August sei es gelungen, Spuren am Lkw zu sichern, die unmittelbar zu den Tätern geführt hätten. Ein Afghane und vier bulgarische Staatsbürger seien in Ungarn in Haft, gegen sie werde weiter ermittelt.

Schlussstrich ziehen

Für die Polizei bleibe nun, "einen Schlussstrich zu ziehen", sagte Doskozil. Mit der Identifizierung der Opfer und der Abtretung des Strafverfahrens sei die Tätigkeit der Exekutive im Burgenland abgeschlossen.

Der Landespolizeidirektor bedankte sich für die "exzellente Zusammenarbeit" mit der Staatsanwaltschaft Eisenstadt sowie bei jenen Tatortspezialisten aus Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg, die ebenfalls bei den Ermittlungen mitgewirkt hatten.

Der 27. August mit dem Fall der 71 Toten werde in der Kriminalgeschichte und in der Geschichte der Landespolizeidirektion Burgenland "ein symbolischer Fall" bleiben, meinte Doskozil. So schrecklich dieser Fall sei, so hoffe er, dass er angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation nicht in Vergessenheit gerate.

Wenn man heute über Flüchtlinge urteile, ihnen kriminelle Dinge unterstelle und wenn man salopp sage, "das sind nur Wirtschaftsflüchtlinge" - dann sollte man auch bedenken, "mit welchem Druck diese Menschen in diesen Lkw eingestiegen sind" und unter welchen Umständen sie geschleppt worden seien, sagte Doskozil. Er wünsche sich, "dass dieser Vorfall auch unter diesem Aspekt auch in der Zukunft in den Köpfen der Menschen und auch in den Köpfen der Entscheidungsträger erhalten bleibt."

Ermittlungen abgeschlossen

Drei Monate nach der unfassbaren Tragödie sei der österreichische Teil der Ermittlungen im Fall der 71 toten Flüchtlinge weitestgehend abgeschlossen, berichtete der Leitende Staatsanwalt Johann Fuchs am Donnerstag in Eisenstadt. Rund 250 Arbeitsstunden hätten die Ankläger der Staatsanwaltschaft Eisenstadt in die Aufklärung dieses wohl einzigartigen Straffalles investiert.

57 Anordnungen wurden erlassen und sieben Rechtshilfeersuchen ins Ausland gerichtet, zudem habe man acht Sachverständigengutachten eingeholt, zog Fuchs Bilanz. Am 8. Oktober hatte die Staatsanwaltschaft (StA) Eisenstadt ein Übernahmeersuchen an die Anklagebehörde im ungarischen Kecskemet gerichtet. Aufgrund der Zuständigkeitsumstände und der Ermittlungsergebnisse - ein Gutachten hatte ergeben, dass die Flüchtlinge mit größter Wahrscheinlichkeit noch in Ungarn erstickt waren - sei man "zum Ergebnis gekommen, dass das Verfahren am besten konzentriert von den ungarischen Behörden geführt werden kann". Am 5. November habe man die offizielle Mitteilung bekommen, dass die ungarische Behörde die Strafverfolgung übernehme.

"Das heißt aber nicht, dass wir unsere Unterstützung für die ungarischen Behörden heute einstellen", sagte Fuchs. Diese hätten bereits den vollständigen Ermittlungsakt und würden auch in Zukunft "alles von uns erhalten, was wir zu dieser Strafsache an Ermittlungsergebnissen noch nachgereicht bekommen." Die europäischen Haftbefehle gegen die fünf Beschuldigten, die in Ungarn in Haft seien, wurden inzwischen widerrufen.

Was die Hintergründe und Strukturen, die diese Schleppung ermöglicht hätten, betreffe, werde es in Österreich weitere Ermittlungen geben. Die "schnellen Erfolge", die man zu den unmittelbaren Tätern vorweisen konnte, seien in dieser Ebene jedoch nicht mehr möglich, meinte der Leitende Staatsanwalt. Es werde aber mit Hochdruck versucht, auch auf den nächsten Ebenen die Täter strafrechtlich auszuforschen und zu überführen.

Es sei "nicht selbstverständlich, dass beinahe alle Opfer ausgeforscht werden konnten unter diesen Tatumständen. Das zeugt von einer sehr sorgfältigen Tatortarbeit ab der ersten Minute", zollte Fuchs der Arbeit der Polizei und des Innenministeriums Lob: "Das war eine mühsame Kleinarbeit."

Dass man drei Monate nach so einer Tat den ungarischen Behörden "Ermittlungsergebnisse mit einer doch sehr dichten Verdachts- und Beweislage" übergeben konnte, die den Ungarn eine "sehr effiziente Weiterbetreibung dieses Verfahrens" ermöglichen werde, sei ebenso nicht selbstverständlich.

Im luftdicht verschlossenen Kühl-Lkw hatten die Flüchtlinge einen sehr kurzen Zeithorizont, um zu überleben, so Fuchs auf die Fragen von Journalisten. Drei Stunden wären dabei ein "absolut denkbarer Maximalwert" gewesen. Die Bergung der Toten habe das Bild gemacht, "wie wenn die Leute einfach so zusammengesunken wären", sagte Fuchs. "Von Kampfspuren oder irgendwelchen Panik-Spuren war vor Ort überhaupt nichts zu beobachten."