Bei der Erdbebenkatastrophe in Nepal sind vermutlich weit mehr Menschen umgekommen als bisher angenommen. Bis zu 10.000 Menschen könnten durch die Erdstöße vom Wochenende getötet worden sein, sagte Ministerpräsident Sushil Koirala am Dienstag. Internationale Hilfe kam nur schleppend ins Land. Aus Furcht vor Nachbeben verbrachten Zehntausende Nepalesen die dritte Nacht in Folge im Freien.

Erste Berichte von Unruhen kursierten. Vor allem der Mangel an Trinkwasser sorgt für Probleme. "Ungleiche Verteilung erhöht das Risiko von Animositäten unter den Betroffenen", warnte OCHA. 

Der ohnehin überlastete Flughafen musste am Mittwoch vorübergehend wegen Rissen in der Landebahn gesperrt werden, wie die "Nepali Times" twitterte. Sie seien aber schnell repariert worden. Zahlreiche Flüge mit Helfern und Hilfsmaterial mussten in den vergangenen Tagen wegen Überlastung des Flughafens unverrichteter Dinge wieder umkehren.

Acht Millionen Menschen direkt betroffen

Bisher wurden nach Regierungsangaben knapp 4.500 Tote geborgen, die Zahl der Verletzten stieg auf über 8.000. Allerdings gibt es noch keinen Überblick über die Zahl der Opfer in den entlegenen Bergregionen des Landes. Nach UNO-Angaben sind acht Millionen der 28 Millionen Einwohner von dem Erdbeben direkt betroffen. Rund 1,4 Millionen Menschen sind demnach auf Nahrungsmittel-Lieferungen angewiesen. Die Regierung ordnete drei Tage Staatstrauer an. Ein neues Drohnen-Video zeigt das Ausmaß der Zerstörung:

Die internationale Hilfe traf zögerlich ein. Der Flughafen von Kathmandu gleicht einem Nadelöhr, das Helfer und Güter passieren müssen. Zudem war der kleine Flughafen überlaufen mit Tausenden Menschen, die das Land so schnell wie möglich verlassen wollen. Über die Lage in entlegenen Landesteilen wurde zunächst nur wenig bekannt. Viele Straßen sind durch Erdrutsche blockiert, Dörfer von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten. Auf der Suche nach Wasser und Nahrung verließen Zehntausende Menschen das schwer getroffene Kathmandu-Tal. Die nepalesische Zeitung "Himalayan Times" gab ihre Zahl mit mehr als 72.000 an.

Auf chinesischer Seite stieg die Zahl der Toten auf 25. Es wurde befürchtet, dass dort noch mehr Menschen ums Leben gekommen sind. Viele Straßen sind noch blockiert und Telekommunikationsverbindungen unterbrochen, wie die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldete. In Indien starben mindestens 72 Menschen. Im Erdbebengebiet leben nach UNO-Angaben etwa 6,6 Millionen Menschen.

Die Regierung räumte außerdem erstmals öffentlich ein, trotz zahlreicher Warnungen vor einem bevorstehenden großen Beben nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. "Wir haben nicht genügend Mittel, und wir brauchen mehr Zeit, um alle zu erreichen", erklärte Innenminister Bam Dev Gautam im staatlichen Fernsehen. Die Behörden hätten Schwierigkeiten, die Krise zu meistern. "Wir waren auf ein Desaster dieses Ausmaßes nicht vorbereitet."

Fast alle Bergsteiger vom Mount Everest gerettet

Nach den Erdbeben-Lawinen am Mount Everest sind fast alle Abenteurer ins Tal geflogen worden. Bis wurden 205 Bergsteiger am höchsten Berg der Welt gerettet, wie der örtliche Polizeisprecher Bhanubhakta Nepal am Dienstag sagte.

Die Polizei sprach von 17 Menschen, die durch eine Lawine im Everest-Basislager gestorben seien. Ein Sprecher der Tourismusbehörde gab die Zahl mit mindestens 20 an. Das indische Militär, das bei der Rettungsaktion mithalf, sprach von 22 Toten.

Bergsteiger Daniel Mazur schrieb aus Camp 1 oberhalb des Basislagers: "Wir sind die letzten neun Sherpas und acht Kletterer am Everest." Die Helikopter-Landestelle liege auf 6.100 Metern Höhe. "Sonnig und wolkenlos, aber das Warten ist schwer", teilte er via Twitter mit.

Mehr als 100 Bergsteiger saßen am Berg fest, weil die Aufstiegsroute - dazu gehören Leitern und Seile durch einen Gletscher - durch Lawinen zerstört worden war.

Zum Zeitpunkt des Unglücks hielten sich etwa 1.000 Menschen im Basislager auf. Der bekannte US-Bergsteiger Alan Arnette schrieb aus dem Basislager, fast alle Teams um ihn herum hätten das Camp verlassen oder bereiteten sich darauf vor. Sie würden in dieser Saison den Everest nicht mehr von der Südseite aus besteigen. "Einige kleine Teams werden in ein paar Tagen entscheiden", schrieb er in seinem Blog.