Nach acht Jahrzehnten hat die Erde in Nepal wieder einmal stark gebebt. Den Seismologen Winfried Hanka vom Potsdamer Geoforschungszentrum überrascht das nicht, denn unter dem Himalaya rumort es regelmäßig, da dort zwei große Kontinentalplatten aufeinandertreffen. Der 63-Jährige ist unter anderem für die Routineauswertung aktueller Erdbeben zuständig und rechnet mit wochenlangen Nachbeben.

Ist ein großes Erdbeben wie jetzt in Nepal für die Region ungewöhnlich?

Hanka: Es ist nicht ungewöhnlich. Das letzte größere Beben genau in der Gegend ist aber eine Weile her: 80 Jahre. In der gesamten Himalaya-Gegend kommt so ein Beben doch schon alle paar Jahre vor. Man muss nur an Pakistan denken, oder Afghanistan, China, Tibet. Das ist alles die gleiche geotektonische Region. Auch starke Erdbeben über Magnitude 8 kommen da alle paar Jahre mal vor.

Warum ist das so?

Hanka: Die Platte des indischen Subkontinents schiebt sich mit ziemlich hoher Geschwindigkeit unter die eurasische Platte und faltet dabei die dortige Gebirgsregion auf - den Himalaya in vorderster Front und dahinter das Plateau von Tibet. Die Platten verhaken sich beim Prozess ineinander. Ab und zu bricht die Struktur und dann wird ruckartig Spannung frei und die Platten schieben sich übereinander. Das geht mit Erdbeben einher.

Wie schnell bewegen sich die Platten?

Hanka: Die indische Platte bewegt sich mit circa vier Zentimetern pro Jahr nach Norden gegen die eurasische.

Was genau ist am Samstag in Nepal passiert?

Hanka: Wir haben eine Herdfläche, die bis zu 150 Kilometer breit ist. Das Hauptbeben im Westen von Kathmandu war der Beginn. Aus der Verteilung der Nachbeben wissen wir, dass der Bereich bis östlich von Kathmandu gebrochen ist. Die Herdfläche ist vermutlich senkrecht oder ganz flach, das wissen wir noch nicht ganz genau.

Was heißt das?

Hanka: Vermutlich ist es so, dass sich die indische Platte mit einem Ruck unter die eurasische geschoben hat, also nach Norden. Es kann aber auch sein, dass es ein senkrechter Bruch war, dass dort eine vertikale Verschiebung stattgefunden hat.

Mit wie vielen Nachbeben rechnen Sie?

Hanka: Es gab bereits zwei sehr starke Nachbeben, die ungefähr eine Magnitudeneinheit schwächer waren. Daneben gab es noch sehr viele kleinere. Das wird sicherlich noch Wochen oder Monate so weitergehen und nur langsam abklingen. Und es kann immer wieder ein stärkeres dabei sein.

Welche Folgen hat die kontinuierliche Verschiebung für Nepal?

Hanka: Dadurch, dass sich dort die Erde praktisch auffaltet, wird Nepal in der horizontalen Ausdehnung etwas kleiner. Wenn Sie eine Tischdecke schieben, haben Sie in der Mitte Falten und die Decke wird dafür kürzer. So ist es dort auch.