Schlägt jetzt die große Stunde für die sanfte Mobilität? Ja, rufen Mobilitätsexperten. Bettina Urbanek vom VCÖ ruft sogar das Ende der Auto-Ära aus: "Das Auto ist out, das Radfahren in." 60 Prozent aller Alltagswege in Graz würden ohne Auto zurückgelegt. Die aktuelle Situation befeuert diese Entwicklung: Der Spritpreis nähert sich der Zwei-Euro-Marke und Graz bekommt eine Umweltzone, die die Autofahrer abschreckt.

Dafür schwebt der öffentliche Verkehr auf einem Hoch: Die Graz-Linien haben heuer in den ersten zwei Monaten um elf Prozent mehr Tickets verkauft als im selben Zeitraum 2011, vor allem die Jahreskarten haben stark zugelegt. Die S-Bahn transportiert täglich 50.000 Menschen - um 27 Prozent mehr als vor drei Jahren.

Die Autofahrer hingegen haben den Rückwärtsgang eingelegt. Diesen Eindruck vermitteln die Messstellen der Asfinag auf den Autobahnen. Fuhren im Februar 2011 noch 33.317 Autos pro Werktag durch den Plabutschtunnel, waren es im heurigen Februar nur 31.931 - ein Minus von vier Prozent. Das gleiche Bild auf der A2 in Thondorf: ein Rückgang von 60.539 auf 59.489.

So viele Autos wie noch nie

Bleibt die Frage: Wenn der öffentliche Verkehr boomt, immer mehr Menschen mit dem Rad unterwegs sind - wieso stehen dann trotzdem so viele Autos im Stau?

Im Vorjahr wurden so viele Autos gekauft wie noch nie. Derzeit sind 122.731 Autos in Graz gemeldet, in der Steiermark sind es 687.000. Die Folge: Die Grazer Straßen sind vor allem in der Frühspitze total verstopft, aber auch am Abend geht es nur zähflüssig voran. Mitverantwortlich dafür: Der Großraum Graz wächst seit Jahren - und wird es weiter tun.

Ist das Gerede von der sanften Mobilität also nur Wunschdenken von Radlobbyisten? Ganz so ist es nicht. Tatsächlich leben immer mehr (fast) ohne Auto (siehe oben). Das geht, weil die Rahmenbedingungen für sanfte Mobilität stetig verbessert werden: Das Land baut ein starkes S-Bahn-System auf, die Stadt kauft neue Straßenbahnen und plant neue Tramlinien, Radwege werden ausgebaut. Insgesamt werden Dutzende Millionen Euro investiert.

Selbst beim Autofahrerklub ÖAMTC sieht man im Auto kein Allheilmittel mehr, sondern die "modulare Mobilität" auf dem Vormarsch, soll heißen: Der Pendler fährt mit dem Auto zum Bahnhof und von dort mit dem Zug und der Bim zur Arbeit.

Die S-Bahn wird angenommen

Martin Mödlinger vom Verein Fahrgast sagt: "Überall dort, wo eine Eisenbahn fährt, funktioniert das. Das Angebot wird gut angenommen." Mödlinger sieht aber auch noch Schwachstellen im System. "Nach wie vor ergeben sich Anschlüsse von der S-Bahn zu einem Bus maximal zufällig." Ihm fehlt eine übergeordnete Instanz, die koordiniert. "Der Verkehrsverbund muss eingreifen und den Verkehrsunternehmen muss klar werden, dass sie sich so gegenseitig Kunden bringen können."

In Graz selbst wird seit Kurzem das Fahrradfahren forciert. 120.000 Euro werden jährlich in Image- und Motivationsprogramme gesteckt, zwei Millionen Euro, um Lücken im Wegenetz zu schließen. Für Karl Reiter von der Forschungsgesellschaft Mobilität liegt im Radfahren das größte Potenzial. "Jede zweite Autofahrt ist kürzer als fünf Kilometer - da

gibt es extrem viel Spielraum." Beim öffentlichen Verkehr ist man zu den Spitzenzeiten jetzt schon am Limit, die Graz-Linien schicken alles auf die Straßen, was sie im Fuhrpark haben. Ein weiterer Ausbau würde immens viel kosten, der Ausbau im Radverkehr sei da ein Schnäppchen.

Kopenhagen drängt Autos zurück

Als Vorbild gilt für Reiter Kopenhagen in Dänemark. Hier wird seit einigen Jahren der öffentliche Raum radikal umverteilt - dem Auto wird Platz genommen, dem Rad gegeben, um ein Gleichgewicht herzustellen. "Da entstehen Schnellstraßen für Radfahrer", so Reiter. Er hat für Graz untersucht, welchen Platz der ruhende Verkehr braucht. Das Ergebnis: 92 Prozent der Flächen werden von Autos zugeparkt, nur zwei Prozent von Fahrrädern.

Dieser Verteilungskampf Auto gegen Rad läuft auch in Graz - und er wird sich weiter verschärfen. Der Ausgang wird entscheiden, ob sich in Graz die sanfte Mobilität durchsetzen wird. Oder ob trotz steigender Spritkosten weiterhin die große Mehrheit ins Auto steigt.