"Zuerst loben sie dich in den Himmel, und dann erniedrigen sie dich", sagt Nicolas über seine Zeit in der konservativ-katholischen peruanischen Laienorganisation "Sodalitium Christianae Vitae" - kurz "Sodalicio" genannt. Mehrere Jugendliche waren Berichten zufolge Beschimpfungen der Gruppe ausgesetzt, mussten Suppe aus einem Stiefel trinken oder dem Gründer den Bauch kraulen. Damit habe er die jungen Menschen "in der Tasche gehabt", soll Luis Fernando Figari geprahlt haben. Es sind Skandale wie diese, die einen Schatten auf die aktuelle Lateinamerika-Reise des Papstes werfen.

Nicolas ist ein Pseudonym eines ehemaligen "Sodalicio"-Mitgliedes. Im 2015 erschienenen Buch "Halb Mönche, halb Soldaten" der Journalisten Pedro Salinas und Paola Ugaz erzählen er und weitere 17 Männer über ihre Erfahrungen in der Organisation. Sie berichten nicht nur von Erniedrigungen, Grausamkeiten, militärischem Drill und Misshandlungen, sondern auch von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen.

Unter kommissarischer Leitung

Dabei ist Figari, Gründer und langjähriger Leiter der 1971 gegründeten Bewegung, auf mehr als einem Foto zusammen mit Papst Johannes Paul II. zu sehen. Denn im Vatikan stand die Bewegung hoch im Kurs: Zum einen hatte sie sich den Kampf gegen die "kommunistische" Befreiungstheologie auf die Fahnen geschrieben. Zum anderen füllte das "Sodalitium" seine Priesterseminare und Ordenshäuser mit jungen Leuten, während die Seminare der traditionellen Ordensgemeinschaften immer leerer wurden. Andeutungen, dass es dabei zu Misshandlungen gekommen sei, wurden von den örtlichen Kirchenoberen lange Zeit nicht verfolgt.

Inzwischen sind Kirche und Justiz in der Angelegenheit aktiv geworden. Nachdem die peruanische Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Figari zunächst eingestellt hatte, ordnete sie am 13. Dezember 2017 eine neunmonatige Untersuchungshaft gegen ihn und drei weitere Mitglieder des "Sodalicio" an. Der 70-Jährige lebt weiterhin in Abgeschiedenheit in einer Villa in Rom. Wenige Tage vor Beginn seiner Peru-Reise stellte Papst Franziskus die "Bewegung" unter kommissarische Leitung.

Für Martin Scheuch, einst Mitglied der Organisation und heute Autor eines kirchenkritischen Blogs, ist diese Intervention nur Augenwischerei: "Es besteht die Gefahr, dass die Sodalicio-Mitglieder dem neuen Leiter nur die Sonnenseiten zeigen". Seiner Meinung nach müsste der Papst die Vereinigung auflösen. "Die Mitglieder können dann ja eine neue Organisation gründen", meint Scheuch.

Dieser Meinung ist auch der Jurist Wilfredo Ardito. Er publiziert regelmäßig über die katholische Kirche in Peru und hat in den vergangenen Jahren beobachtet, wie der Skandal um das "Sodalicio" die moralische Autorität der Kirche beschädigt. "Gerade diejenigen in der katholischen Kirche, die sich immer als die Reinen sahen, stehen nun als Heuchler da", sagt er.

Ein besonderer Fall

Allerdings sei das "Sodalicio" ein besonderer Fall. Es handle sich um eine sektenähnliche Organisation, die sich ihre Mitglieder ausschließlich in der peruanischen Oberschicht ausgesucht habe. Opfer von klerikalem Missbrauch aus ärmeren Gesellschaftsschichten hätten dagegen Mühe, ihre Fälle publik zu machen und Gerechtigkeit zu erlangen, so der Rechtsexperte.

"Wenn ein Opfer sich traut, den Missbrauch öffentlich zu machen, dann ist es kein Opfer mehr", sagt Matthias Katsch, Sprecher des "Eckigen Tisches", der bekanntesten deutschen Gruppe von Missbrauchsopfern. Je mehr sich meldeten, desto niedriger werde die Hemmschwelle. Er und sechs weitere Vertreter aus verschiedenen Ländern stellten in Lima kürzlich die neue weltweite Initiative "End Clerical Abuse - The Global Justice Project" vor. "Als Opfer-Vertreter haben wir eine Vorreiterrolle", sagt Katsch. In Peru stehe der "Sodalicio"-Skandal am Anfang, aber sicher nicht am Ende einer Debatte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.