Der Prozess um das A4-Flüchtlingsdrama, bei dem im August 2015 in einem Kühllaster 71 Menschen erstickten, ist am Freitag in der ungarischen Stadt Kecskemet mit der Befragung des Drittangeklagten fortgesetzt worden. Bei dem Mann handelt es sich um einen 39 Jahre alten Bulgaren, der das sogenannte Vorläuferauto gelenkt hatte. Er muss sich wegen Schlepperei und Mordes verantworten.

Vor Richter Janos Jadi verweigerte er allerdings ebenso die Aussage wir zuvor schon der mutmaßliche Kopf der Schlepperorganisation und dessen Stellvertreter. Der Vorsitzende verlas deshalb die Protokolle der Einvernahme des Bulgaren im Vorverfahren aus dem Jahr 2016. Damals wies der Beschuldigte die Verantwortung für den Tod der Flüchtlinge von sich und mutmaßte, dass man ihn als "Sündenbock" benutzen wollte.

Schlepperroute sondieren

Aufgabe eines sogenannten Vorläufers ist es, auf der Schlepperroute die Lage zu sondieren und vor allfälligen Polizeikontrollen zu warnen. Er habe weder Anweisungen gegeben noch sei er dabei gewesen, als die Flüchtlinge in den Kühllaster eingestiegen sind, sondern sei lediglich der Begleitfahrer gewesen, sagte der Angeklagte im Vorverfahren. "Die Menschen im Kühl-Lkw tun mir leid", zitierte der Richter die Aussage des Bulgaren aus dem Protokoll, "aber ich habe mit alldem nichts zu tun."

Angeworben und nach Ungarn geholt wurde er nach eigenen Angaben von einem "Mann", der ihm Arbeit und Geld versprochen hätte, damit er seine Schulden in Bulgarien bezahlen könnte, sagte der Beschuldigte bei der Einvernahme. Der hatte ihm versichert, dass alles legal sei und es keine Probleme mit der Polizei geben würde. Geld habe er allerdings nie gesehen, mit dem "Mann" sei es zu einem Streit gekommen, berichtete der Bulgare und mutmaßte, dass man ihn ausnutzen wollte.

"Habe Bandenboss nur zwei Mal gesehen"

Den mutmaßlichen Kopf der Schlepperorganisation habe er nur zwei Mal gesehen, sagte der 39-jährige Fahrer des Vorläuferautos in seiner Einvernahme 2016. Der 30 Jahre alte Afghane muss sich in dem Prozess in Kecskemet als Erstangeklagter verantworten.

Bei dem Mann namens Toni, der ihn angeworben hatte, habe er 600 Euro Schulden gehabt, sagte der drittangeklagte Bulgare damals aus. Er sei im August 2015 - also im selben Monat, als die 71 Flüchtlinge in dem Kühl-Lkw erstickten - nach Ungarn geholt worden, sagte der Beschuldigte in der früheren Einvernahme. Er sei angeblich nur für wenige Tage und ein paar Schleppertouren nach Österreich und Deutschland geholt worden. Das war dem Bulgaren offenbar sehr recht: Er habe ein kleines Kind in Bulgarien und deshalb so schnell wie möglich wieder nach Hause gewollt.

Offenbar dauerte der "Job" dann doch länger als er angenommen hatte. Auf die Frage, wann er nach Bulgarien zurückkehren könne, habe Toni nur gesagt: "Bald, bald" und ihn mit 1.000 Euro bestochen, sagte der 39-Jährige aus. "Toni hat uns betrogen. Ich habe nur die Brösel bekommen", meinte er in der Einvernahme offenbar in Anspielung auf die enormen Gewinne der Schlepperorganisation.

"Toni" selbst sei heimgefahren, habe ihn aber mit dem Versprechen in Ungarn zurückgelassen, ihn in zwei Tagen abzuholen, hatte der Fahrer des Vorläuferautos berichtet. Genau in diesen Tagen kam es zu der Tragödie, bei der 71 Flüchtlinge im Kühl-Lkw auf dem Weg nach Österreich erstickten.

Anruf aus Österreich: "Hol mich ab"

Den Auftrag, den Kühl-Laster mit den 71 Flüchtlingen zu begleiten, habe er von dem als Nummer zwei der Organisation angeklagten 30 Jahre alten Bulgaren bekommen, sagte der Fahrer des Vorläuferautos in einer früheren Einvernahme. Vom Lenker des Lkw habe ihn schließlich - bereits von österreichischem Staatsgebiet - ein Anruf mit der Aufforderung erreicht: "Hol mich ab."

Als er bei dem Kühl-Lkw eintraf, sei der Chauffeur ausgestiegen. "Er sagte nichts, da wusste ich nicht, dass Menschen in dem Lkw tot waren", erklärte der 39-jährige Drittangeklagte laut Einvernahmeprotokoll. Gemeinsam sei man nach Budapest zurückgefahren. Dass alle 71 Flüchtlinge, die im Laderaum zusammengepfercht waren, erstickten, erfuhr der Begleitfahrer anscheinend erst am nächsten Tag, nachdem Medien über die Flüchtlingstragödie berichtet hatten. "Ich bitte um Verzeihung, doch ich kann nichts dafür", zitierte Richter Janos Jadi aus dem Protokoll.

Die Verhandlung wurde am Freitag bereits zu Mittag beendet. Nächster Termin ist der 29. Juni. Für diesen Tag ist die Einvernahme des bulgarischen Fahrers des Kühl-Lkw geplant. Ihm werden Schlepperei und Mord zur Last gelegt. Außerdem soll der bulgarisch-libanesische 52-Jährige aussagen, der für die Organisation Fahrzeuge besorgt haben soll. Er muss sich wegen organisierter Schlepperei verantworten.