Am bedrückendsten waren letztlich die Suchanzeigen. Die nackte Angst, die Verzweiflung, die aus diesen Appellen sprachen. Per elektronischen Steckbriefen, denen Bilder der Gesuchten beigefügt waren, fahndeten Eltern und Freunde am Dienstagmorgen nach Besuchern jenes Popkonzerts in Manchester, das so katastrophal geendet hatte. Ob denn nicht um Himmels willen jemand ihr Kind gesehen habe, fragten Väter und Mütter, die in ihren Tweets um ein erlösendes Wort geradezu bettelten. Ihnen selbst fehle von den Gesuchten jede Spur.

Das war, nachdem die Polizei in der Nacht auf Dienstag bestätigt hatte, dass mindestens 22 meist junge Leute ums Leben gekommen seien, beim Bombenanschlag auf die Manchester-Arena am Vorabend.

Die Bombe war nach den Worten eines behandelnden Arztes offensichtlich auch mit Nägeln bestückt. "Die Bombe hatte wohl auch Nägel", sagte der Deutsche Stefan Schumacher, der als Neurologe in Manchester arbeitet, am Mittwoch dem Südwestrundfunk (SWR). Am Mittwoch wurden drei weitere Männer festgenommen. Die Behörden gehen davon aus, dass der Selbstmordattentäter Helfer hatte.

Wie sich später herausstellte, waren zwölf der mehr als 60 Verletzten des Anschlags unter 16 Jahre alt. Dem Zusammenbruch nah, appellierte Charlotte Campbell live an die Zuschauer des Frühstücksprogramms der BBC, doch „bitte, bitte“ ihre 15-jährige Tochter Olivia zu finden. In ihrem kleinen Garten hinterm Haus hielt die Mutter ein Foto ihrer Tochter im roten Kleid in die Kamera: „Sie war bei dem Konzert.“

Nach dem Vorprogramm noch habe Olivia ihr getextet, wie fantastisch die Vorstellung sei und wie froh sie sei, dass sie nach Manchester habe fahren dürfen, sagte Charlotte Campbell. „Jetzt ist nichts mehr von ihr zu hören.“

Auch fernab Manchesters, auf den schottischen Hebriden, schauten sich Eltern bestürzt an. Dort wurden zwei Freundinnen von den Inseln, Laura MacIntyre (15) und Eilidh MacLeod (14), vermisst. Der Unterhaus-Abgeordnete für Schottlands westliche Inseln, Angus MacNeil, dessen Tochter mit den Mädchen gut befreundet war, erklärte betroffen, er könne „nicht einmal annähernd ermessen“, wie den Eltern der beiden zumute sei.

Fieberhafte Suche nach der kleinen Saffie

Anderswo wurde fieberhaft nach der kleinen Saffie Rose Roussos gefahndet. Die Achtjährige war mit ihrer großen Schwester zum Konzert gereist und in den Tumulten am Ende verloren gegangen. Denn just als das Konzert zu Ende war und im Saal das Licht anging, brach in der Manchester-Arena die große Panik aus.

Die, die weiter weg waren vom Foyer, von der Detonation der Bombe, glaubten anfangs noch, ein riesiger rosaroter Luftballon sei geplatzt oder die Lautsprecheranlage sei in die Luft gegangen. Die, die sich näher am Tatort befanden, begriffen schnell, dass sie es mit einer Terrorattacke zu tun hatten.

Blutende Teenager schwankten panisch durch die Ausgangstüren, über die Leichen Gleichaltriger hinweg. Bombensplitter und Metallbolzen fanden sich weithin verstreut im Eingangsbereich. Eltern, die ihre Sprösslinge nach dem Konzert in Empfang nehmen wollten, gerieten ihrerseits in Panik, als die schreienden Kinder aus dem Saal gelaufen kamen. Ein rosaroter Luftballon war an diesem Chaos nicht schuld.

Fast ein Wunder war es, dass die Fliehenden einander nicht zu Tode trampelten. Die Manchester-Arena, mit einem Fassungsvermögen von 21.000 Besuchern eine der größten Veranstaltungshallen in ganz Europa, war an diesem Abend ausverkauft. Star der Veranstaltung war die selbst erst 23-jährige US-Sängerin Ariana Grande, für die sich ein riesiger Pulk jüngerer und jüngster Popfans im Vereinigten Königreich begeistert. Das zarte Alter ihrer Anhänger erklärte die hohe Rate an jungen Opfern beim Bombenanschlag von Manchester. Während Rettungswagen in langen Konvois und mit Sirenengeheul und Blaulicht durchs Dunkel der Nacht zur Manchester-Arena rasten, versuchte die Polizei, sich Klarheit über die Lage zu verschaffen. 400 Polizisten waren in der Nacht auf Dienstag im Einsatz. Die über 60 Verletzten wurden auf acht verschiedene Krankenhäuser der Stadt verteilt. Augenzeugen sprachen später von „blutüberströmten Opfern“, von „Rauch im Foyer“ und davon, dass „wir alle komplett durchdrehten“. „Ein Albtraum“ sei das Ganze gewesen, sagte ein Besucher: „Wir rannten Hals über Kopf ins Freie.“

Der Attentäter, der beim Anschlag selbst ums Leben kam, ist mittlerweile identifiziert: Es handelt sich um den 22 Jahre alten Salman Abedi, sagte Chefermittler Ian Hopkins. Abedi wurde 1994 in Manchester geboren. Seine Eltern sollen Flüchtlinge aus Libyen sein. Ein weiterer 23-Jähriger wurde im Zusammenhang mit der Tat festgenommen. In Downing Street 10 ging der Union Jack auf halbmast. Premierministerin Theresa May trat zum dritten Mal binnen vier Wochen ans Rednerpult. Diesmal nicht, um Neuwahlen auszurufen oder die EU-Partner zu schelten, sondern um die Nation in Trauer um sich zu scharen.

Als eines der ersten Todesopfer wurde die achtjährige Saffie Rose Roussos identifiziert, die an der Hand ihrer Schwester zum Konzert gekommen war. Das kleine Mädchen hatte seinen großen Tag in der Arena nicht überlebt.