Schwer und langsam müht sich ein Panzer über einen Hügel, vor ihm schlägt eine Bombe ein. Rauch steigt auf, ein paar Meter entfernt fliegt ein Körper in die Luft. Durch Lautsprecher ertönt laut die Musik des Triumphes - der "Ritt der Walküren" von Richard Wagner. "Jetzt los, auf zum Reichstag", brüllt ein Mann in Uniform in ein Funkgerät.

Am Sonntagnachmittag zwischen Hagel und Schneesturm beginnt der Sturm auf Berlin, pünktlich um 12.30 Ortszeit. Jedoch nicht in Deutschland, sondern als Familienevent in einem Birkenwäldchen nahe der russischen Kleinstadt Kubinka - knapp eine Autostunde von Moskau entfernt.

Nachbau des Berliner Reichstages - in russischer Hand
Nachbau des Berliner Reichstages - in russischer Hand © (c) AP (Pavel Golovkin)

Die Zuschauer sitzen direkt vor der Frontlinie, in Hundert Meter Entfernung erkennt man ein kleines Gebäude - den "Mini-Reichstag". Eine von Weitem zu erkennende rote Fahne weht am Ende der Show von seinem Dach. Die Symbolhaftigkeit der Szene ist jedem Russen bekannt: Das weltbekannte Foto des Rotarmisten Jewgeni Chaldej zeigt mehrere sowjetische Soldaten, die nach der Schlacht um den Reichstag im Mai 1945 auf dem zerstörten Gebäude ihre Flagge hissen. Der Sturm auf den Reichstag wurde später auch zum Schlüsselmoment der Sowjetunion und auch des russischen Patriotismus.

Bereits im Februar hatte das Verteidigungsministerium mit seiner Ankündigung aufhorchen lassen, den Berliner Reichstag in einer Mini-Variante nachzubauen. Hier sollten die jungen Menschen lernen, wie man ein Gebäude erstürmt und im Krieg überlebt, sagte Minister Sergej Schoigu. Ob die Rekonstruktion jedoch regelmäßig "erstürmt" werden könne, war zwei Monate später nicht mehr so sicher. Es sei nur für die Militär-Show erbaut worden, sagte Schoigus Sprecher. Ein Vertreter des Freizeitparks zuckte nur mit den Schultern: Das Stahlgerüst werde noch eine Weile hier rumstehen, was damit geschehen werde, sei noch nicht geklärt.

Klar ist: Bereits im Frühjahr hatte Schoigus Ansage in Berlin und bei der deutschen Bundesregierung für gewaltige Irritationen gesorgt. Die deutsche Regierungssprecherin Ulrike Demmers nannte die Idee damals überraschend. Beobachter empfanden den Vorschlag, hervorgebracht unmittelbar vor dem russischen Tag der Vaterlandsverteidiger, als kleine Provokation gen Westen. Zudem wolle die Regierung in Moskau damit die Jugendlichen auf Patriotismus trimmen.

"Erziehungsmaßnahmen"

In Russland hat der Mini-Reichstag viele Befürworter. Nikolai, gekleidet in Generalsuniform, findet die Spielwiese besonders für Erziehungsmaßnahmen immens wichtig. "So lernen die Jugendlichen, die Heimat wieder zu schätzen. Sie wissen dann, was die Großeltern geopfert haben." Die Kritik aus Berlin hält er für absurd. "Wir hier in Russland können doch machen, was wir wollen. Das ist unser Territorium", sagt der Mann.

Knapp 10.000 Menschen haben sich nach Angaben des Ministeriums das Spektakel angeschaut, darunter Kleinkinder, Schüler und Studenten. Als über 1.000 Statisten und Komparsen in Uniformen der Roten Armee Kriegskulissen befeuern, sitzt auch Schoigu auf einer Tribüne.

Finanziert und organisiert wird der Patrioten-Park vom Verteidigungsministerium. 2015 wurde er eröffnet und kostete etwa 300 Millionen Euro. Hier können Kriegs-Fans an unterschiedlichen Schauplätzen Schlachten nachstellen. Historisch beraten und ausgestattet wird der Park bei dem Spektakel von der privaten Synergy-Universität. "Wir wollen zeigen, wie schrecklich der Krieg ist", sagt Sprecher Dmitri Tschubarow. "Hier ist es wie im echten Kampf: laut und grauenhaft." Knapp eineinhalb Stunden lang tönen deshalb Gewehrsalven aus den Lautsprechern, Tiefflieger simulieren einen Angriff der Rotarmisten. Brennende Stuntmen rennen zu Rockmusik über das Feld. Ab und zu legt sich ein Statist auf den Boden, Blut oder brutales Gemetzel ist jedoch nicht zu sehen.

"Die eigene Stärke des Landes zu fühlen, das ist faszinierend", sagt ein zwölf Jahre alter Bub. Er schaut sich mit seinem Vater das Kriegsszenario an. "Hier lernt man viel mehr als in den Schulbüchern", sagt er. Alles sei so realistisch. "Das ist unsere Heimat, unsere Geschichte. Das alles sollen auch noch andere Generationen verstehen", sagt Swetlana. Sie positioniert sich für ein Selfie mit einem wenige Jahre alten Buben vor einem Panzer.

Am Ausgang hinterlassen die Zuschauer ihre Initialen an einer Leinwand - so wie es damals auch die sowjetischen Soldaten in den Mauern des Reichstages taten. Zwei kleine Mädchen schnappen sich bunte Filzstifte und malen wild darauf los: Wölkchen, Kreise und riesige Herzen. Wie Kinder es eben machen.