Nach drei schweren Erdbeben, die am Mittwochabend die mittelitalienische Region Marken erschüttert hatten, haben tausende Menschen in der Region Marke die Nacht in Autos oder in Notunterkünften verbracht. Trotz heftiger Regenfälle verzichteten sie darauf, in ihre teils beschädigten Wohnungen zurückzukehren. Die Gemeinden organisierten Zelte und Notunterkünfte. Mehrere Obdachlose wurden auch in Hotels an der Adria untergebracht.

Ein Bus startete von der Gemeinde Visso, Epizentrum des Erdbebens, in Richtung der Adria-Badeortschaft Civitanova Marche. 120 Personen waren an Bord des Busses, vor allem Senioren, die wegen der niedrigen Temperaturen nicht die Nacht im Freien verbringen können.

Die anderen Bewohner Vissos bereiten sich auf eine weitere Nacht im Freien, in Autos und in Notunterkünften vor. In Visso sind zwei Drittel der Gebäude nicht mehr nutzbar, berichtete Bürgermeister Giuliano Pazzaglini. In der Erdbebenregion wurden mehrere Krankenhäuser, ein Altenheim sowie ein Gefängnis evakuiert, alle Schulen bleiben vorsichtshalber geschlossen. Die Sachschäden sind laut Zivilschutz "bedeutend".

19 Gemeinden betroffen

Die neuen Erdbeben, die am Mittwochabend Mittelitalien erschütterten, haben in insgesamt 19 Gemeinden Schäden verursacht. Am Donnerstagnachmittag ist Premier Matteo Renzi in der Region eingetroffen, der sich ein Bild der Lage machen wollte. Der Ministerpräsident besuchte Camerino, das Epizentrum des Erdbebens.

Premier Renzi in Camerino
Premier Renzi in Camerino © APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

Schwere Nachbeben verbreiteten Angst unter der Bevölkerung. Hunderte Erdstöße wurden seit dem ersten schweren Beben am Mittwoch um 19.11 Uhr registriert, teilte das nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie in Rom mit. Notunterkünfte wurden für die 3.000 Obdachlose gesucht. Zivilschutzchef Fabrizio Curcio schloss aus, dass die Obdachlosen in Zeltlagern übernachten werden. "Wir werden sie in Hotels unterbringen, denn der Winter kann in der Gegend sehr kalt werden", sagte Curcio.

Schnell erklärt: Erdbeben

Schwere Schäden wurden am Kulturerbe der Region Marken gemeldet. Die Kirche San Salvatore in Campi di Norcia stürzte ein. Ein zwei Meter großes Steinkreuz auf der Spitze der Hauptfassade der Basilika des Heiligen Benedikt stürzte ab. Zum Glück fiel das schwere Kreuz auf das Dach der Kirche und nicht auf den Platz vor der Basilika. 16 Kirchen in Norcia waren nicht mehr zugänglich. Für Messen wurde ein Zelt errichtet. In der umbrischen Stadt Norcia, Geburtsstadt des Heiligen Benedikt (geb. 480) hatte schon das verheerenden Erdbeben vor zwei Monaten Schäden angerichtet.

Auch in Visso, im Epizentrum der neuen Erdbeben, stürzte eine Kirche ein. Dort wurde auch ein Museum beschädigt, in dem Manuskripte des italienischen Dichters Giacomo Leopardi (1798 - 1837) aufbewahrt werden. Die Manuskripte sollen vorläufig in ein Museum in Bologna gebracht werden. Alle Häuser in Visso seien beschädigt und nicht mehr bewohnbar, sagte der Bürgermeister des Dorfs, Giulio Pazzaglini.

Erste Hilfe

Die italienische Regierung hat beschlossen, 40 Millionen Euro für das Erdbebengebiet in der Region Marken zur Verfügung zu stellen. "Unser erstes Ziel ist, die betroffene Bevölkerung zu unterstützen. Danach folgt der Wiederaufbau. Wir werden alles hundertprozentig aufbauen", sagte der bereits nach dem August-Beben ernannte Kommissar für den Wiederaufbau, Vasco Errani.

"Zum Glück gibt es keine Todesopfer. Wir müssen in diesem schwierigen Moment Zusammenhalt zeigen", sagte Errani. In ganz Italien werden Geldspenden für die Opfer gesammelt. Nach den schweren Erdbeben in der Nacht auf Donnerstag wurde neben anderen Kulturdenkmälern das Kolosseum in Rom auf mögliche Schäden überprüft.

"Alptraum-Nacht"

"Wir haben eine Alptraum-Nacht erlebt", berichteten Betroffene. Die schlechte Wetterlage und Stromausfälle erschwerten den Einsatz der Feuerwehrmannschaften in den am stärksten betroffenen Ortschaften Ussita, Camerino, Visso und Castelsantangelo sul Nera. Erhebliche Sachschäden gab es auch in Arquata del Tronto, einer bereits beim Beben am 24. August schwer zerstörten Gemeinde. In der ganzen Region Marke sollten am Donnerstag die Schulen geschlossen bleiben.

Zwei Österreicher mussten ihre Wohnung verlassen

20 Auslandösterreicher, die in der größeren Umgebung des Erdbebengebiets in Mittelitalien wohnen, sind wohlauf. Die österreichischen Botschaft in Rom nahm mit ihnen Kontakt auf. Zwei Österreicher, die näher am Epizentrum leben, mussten aus Sicherheitsgründen ihre Wohnungen verlassen.

"Wir sind mit allen Auslandsösterreichern in Kontakt. Sie wissen, dass sie sich bei uns melden können", verlautete aus der österreichischen Botschaft in Rom. Es gebe keine Hinweise, dass sich zurzeit Touristen aus Österreich in der betroffenen Region aufhalten.

Herzinfarkt

Wahrscheinlich in Folge des Erdbebens hat ein 73-Jähriger nach offiziellen Angaben einen Herzinfarkt erlitten und ist gestorben. Der Schock könnte den Infarkt ausgelöst haben, Todesopfer, die auf Schäden an Gebäuden zurückzuführen seien, wurden nicht gemeldet.

In Visso war der heftigste Erdstoß gemessen worden. Die Stärke variierte nach Angaben unterschiedlicher Erdbebenwarten zwischen 5,9 und 6,1 auf der Richter-Skala. Viele hatten hier wegen eines Vorbebens schon ihre Häuser verlassen und hielten sich im Freien auf. Das Krankenhaus der Kleinstadt Norcia in Umbrien, Heimatort des Heiligen Benedikts, wurde aus Sicherheitsgründen evakuiert. Die Patienten wurden in das Krankenhaus der Stadt Spoleto gebracht.

"Das Erdbeben ohne Ende", titelte die römische Tageszeitung "La Repubblica". "Als Mittelitalien dabei war, sich von der Katastrophe vom 24. August zu erholen, bebt die Erde wieder. Zum Glück gibt es keine Todesopfer", kommentierte Zivilschutzchef Fabrizio Curcio. Seismologen schlossen nicht aus, dass die drei Beben am Mittwochabend mit dem verheerenden Erdstoß am 24. August verbunden sind.

Schweres  Beben Ende August

Die Erdstöße ereigneten sich in jener Region, die erst Ende August von einem heftigen Beben getroffen worden war. Damals kamen 298 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen in der Ortschaft Amatrice. Der dortige Bürgermeister Sergio Pirozzi sagte, auch in seinem Ort sei es erneut zu Schäden gekommen. Viele Menschen verbrachten die Nacht in einer Sporthalle.

Weitere Nachbeben wurden am frühen Donnerstag gemeldet, zwei davon mit einer Magnitude über 4.0, teilte das nationalen Institut für Geologie und Vulkanologie mit. Ein Beben mit Magnitudo 4.1 wurde um 5.19 Uhr wahrgenommen. Es folgte ein weiteres um 4.4 um 5.50 Uhr.

Zahlreiche Kirchen eingestürzt

Schwere Schäden wurden am Kulturerbe der Region Marke vermeldet. Zahlreiche Kirchen der Gegend wurden schwer beschädigt. Der Kirchenturm des Wallfahrtsorts von Santa Maria in Via in der Kleinstadt Camerino stürzte auf ein gegenüber liegendes Gebäude.

Der Kirchturm war bereits 1997 von einem Erdbeben beschädigt und restauriert worden. Dem Erdbeben am 24. August hatte der Kirchentum noch Stand gehalten. "Ganz Camerino ist mit seinem historischen Kern ein Monument. Die Sachschäden sind enorm. Auch die Kirche des Heiligen Philipp hat schwere Schäden erlitten", berichtete der Bürgermeister von Camerino Gianluca Pasqui.

Auch in Visso, Epizentrum der Erdbeben vom Mittwochabend, stürzte eine Kirche ein. "Es ist wie nach einem Bombenangriff", berichteten Augenzeugen. Der Erzbischof von Spoleto-Norcia, Renato Boccardo, berichtete, dass die Kirche San Salvatore in Campi di Norcia, rund 20 Kilometer südlich von Visso, eingestürzt sei. Im umbrischen Norcia, Geburtsstadt des Heiligen Benedikt (geb. 480), waren auch nach dem Erdbeben vor zwei Monaten Sachschäden gemeldet worden.

Die Kleinstadt Norcia, das römische Nursia, war bereits 1979 von einem Erdbeben betroffen, bei dem fünf Personen ums Leben kamen und 2.000 Menschen obdachlos wurden. Sachschäden wurden am Mittwoch auch in der umbrischen Ortschaft Cascia, Heimat der Heiligen Rita (1370-1447), gemeldet. Die Heilige Rita von Cascia ist eine der beliebtesten Heiligen vor allem in den romanischsprachigen Ländern Europas und Amerikas.

Kind schwer verletzt

Ein Kind wurde in Camerino beim Einsturz der Wohnung seiner Eltern schwer verletzt. Dies bestätigte der Bürgermeister der Ortschaft, Mauro Riccioni. Das Kind sei ins Krankenhaus gebracht worden.

Italiens Zivilschutzchef Fabrizio Curcio und der Kommissar für den Wiederaufbau, Vasco Errani, besuchten das Erdbebengebiet, um sich ein Bild der Lage zu machen. Beim zweiten Erdstoß um 23.18 Uhr, dem stärksten der Beben mit einer Magnitude von 5,9, hatten viele Menschen ihre Wohnungen bereits verlassen, daher sei es zu keinen Todesopfern gekommen.

Besonders gravierend sind die Schäden in der Gemeinde Ussita. "Mindestens 250 Personen, die Hälfte der Bevölkerung, brauchen eine Unterkunft", klagte Bürgermeister Marco Rinaldi. Die Gemeinde lebe vom Tourismus, machte er sich Sorgen um die Zukunft. Die Stadtkerne vieler kleinerer Orte in der Provinz Macerata seien zerstört.

Premier Renzi besucht betroffene Region

Premier Matteo Renzi will sich persönlich ein Bild der Lage in den zerstörten Orten der Region Marken machen. Renzi sagte am Donnerstag all seine Termine ab und kündigte für den Nachmittag einen Besuch in Camerino und Visso, Epizentrum des Erdbebens, an, berichteten italienische Medien.

Bei einer Ministerratsitzung am Donnerstag sollten erste Finanzierungen für die Erdbebenregion beschlossen werden. Erst vor wenigen Tagen hatte die Regierung Renzi einen Plan für den Wiederaufbau der beim Erdbeben vom 24. August zerstörten Gemeinden zwischen den Regionen Latium und Marken verabschiedet. Die Schäden des Erdbebens im August mit 298 Toten wurden mit vier Milliarden Euro beziffert. Die Regierung Renzi drängt in Brüssel darauf, dass die Ausgaben für den Wiederaufbau aus der Berechnung des Defizits 2017 ausgeklammert werden.

Der Bürgermeister der Ortschaft Ussita sprach indes von einem "Desaster". 80 Prozent der Wohnungen in seiner Gemeinde seien beschädigt. "Das Dorf ist zerstört. Die rund 200 Dorfbewohner müssen in Bungalows eines Campingplatzes untergebracht werden", sagte Bürgermeister Marco Rinaldi.

Beben auch in Kärnten zu spüren

Das schwere Beben war am Mittwoch auch in Teilen Kärntens zu spüren. Etwa in der Gemeinde Ferlach. Schäden gab es keine.