Wenige Tage nach seiner Festnahme wegen mutmaßlicher Anschlagspläne hat sich der Syrer Jaber al-Bakr im Gefängnis das Leben genommen. Der 22-Jährige habe am Mittwochabend in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Leipzig Suizid begangen, teilte das sächsische Justizministerium mit. Al-Bakrs Pflichtverteidiger sprach von einem "Justizskandal". Auch Politiker reagierten entsetzt. Die Opposition höhnt: Die sächsische Justiz sah bei dem Mann, der vermutlich einen Selbstmordanschlag plante, keine Suizidgefahr.

Der Tod von Jaber Al-Bakr wurde am Mittwochabend um 20.15 Uhr festgestellt. Bei der Pressekonferenz, die ab 11 Uhr in Dresden stattfand, geriet Anstaltsleiter Rolf Jacob unter Druck:

Hat die Aufsicht versagt?

Der Pflichtverteidiger hat von den Behörden noch keine näheren Informationen über die Todesumstände seines Mandanten bekommen. Die zuständige Oberstaatsanwältin habe ihm nur mitgeteilt, dass der 22-Jährige sich erhängt habe, sagte Rechtsanwalt Alexander Hübner im Deutschlandfunk.

Weitere Einzelheiten seien ihm nicht genannt worden. Hübner äußerte großes Unverständnis, dass es in diesem besonderen Fall zu einem Suizid kommen konnte. Es komme häufiger zu Suiziden und Suizidversuchen in Justizvollzugsanstalten. "Nur in diesem speziellen Fall bin ich einigermaßen fassungslos, weil ich schon davon ausgegangen bin, dass aufgrund der Gesamtumstände, die ja auch bekannt waren - ich meine zum Beispiel den Hungerstreik und die angebliche Motivation, die dann dahinter gesteckt hat - eine besondere Beobachtung stattfindet", sagte Hübner.

Ihm sei in der JVA auch kurz vor der Tat gesagt worden, dass al-Bakr an Steckdosen manipuliert und eine Lampe zerstört habe und er deshalb auch besonders beobachtet würde. "Das scheint ja nicht ganz geklappt zu haben", sagte Hübner. Videoüberwachung gab es nicht - das ist im Gesetz allerdings auch nicht vorgesehen.

"Wie konnte das geschehen?"

Deutsche Politiker äußerten sich im Kurzbotschaftendienst Twitter schockiert. "Was ist da los?" schrieb Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck twitterte: "Wie konnte das geschehen?" Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt schrieb: "Wenn man nur noch denkt", gefolgt von dem Hashtag "nicht schon wieder Sachsen".

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere hat nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Jaber al-Bakr eine schnelle Aufklärung durch die Justiz im deutschen Bundesland Sachsen gefordert. "Das, was da gestern Nacht passiert ist, verlangt nun wirklich nach schneller und umfassender Aufklärung der örtlichen Justizbehörden", sagte de Maiziere am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin".

Und CDU-Rechtsexperte Jan-Marco Luczak sagte gegenüber dem MDR: "Der mutmaßliche Attentäter hätte vielleicht wertvolle Hinweise zu den Aktivitäten oder Strukturen des IS geben können."

Konsequenzen fordert Linken-Chefin Katja Kipping. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur fordert sie den Rücktritt von Justizministers Gemkow. Und: "Die sächsische Justiz ist eine Schande für jeden Rechtsstaat."

Der junge Syrer war am Samstag bei einem Polizeieinsatz in seiner Wohnung in Chemnitz knapp dem Zugriff der Beamten entkommen. In der Wohnung wurden 1,5 Kilogramm hochexplosiver Sprengstoff gefunden. Drei Syrer, bei denen al-Bakr dann in Leipzig um einen Platz zum Übernachten gebeten hatte, überwältigten und fesselten den 22-Jährigen. Sie verständigten die Polizei, die den Verdächtigen schließlich festnahm.

Spezialkräfte sicherten nach der Festnahme das Gelände um das Gericht in Dresden.
Spezialkräfte sicherten nach der Festnahme das Gelände um das Gericht in Dresden. © AP

Syrer belastete Landsmänner

Nach Informationen des Senders MDR Sachsen beschuldigte al-Bakr seine drei Landsmänner im Verhör als Mitwisser. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht.

Die Bundesanwaltschaft übernahm nach der Festnahme die Ermittlungen und bezeichnete al-Bakr als "dringend verdächtig", einen "islamistisch motivierten Anschlag mit hochexplosivem Sprengstoff in Deutschland geplant und bereits konkret vorbereitet zu haben". Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte der Verdächtige Züge in Deutschland und Flughäfen in Berlin im Visier. Die Ermittler gehen davon aus, dass al-Bakr Verbindungen zur Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hatte.

© APA/Sebastian Willnow

Al-Bakr war Anfang 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Nach Recherchen des MDR war er zwischenzeitlich wieder in Syrien. Das habe die Familie des 22-Jährigen mitgeteilt, berichtete das Magazin "Exakt". Mitbewohner aus dem nordsächsischen Eilenburg hätten ebenfalls von seinem Aufenthalt in Idlib berichtet. Sie hätten den 22-Jährigen aber nicht als besonders religiös beschreiben. Nach seiner Rückkehr soll er sich jedoch verändert haben.

Lob für Festnehmende

Laut Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wurde Al-Bakr 2015 von den Sicherheitsbehörden überprüft. "Allerdings ohne Treffer. Es steht ja auch noch gar nicht fest, wann es dort zu einer Radikalisierung gekommen ist", sagte er am Mittwoch in Berlin.

Nach der Festnahme hatte es viel Lob für das Verhalten der drei Syrer gegeben, die den Terrorverdächtigen der Polizei ausgeliefert hatten. Aus der Regierungskoalition wurden Forderungen nach einem Orden für die drei Flüchtlinge laut. Innenminister de Maizière wurde vorgeworfen, den Männern nicht ausdrücklich gedankt zu haben. Am Mittwoch sprach de Maizière "Menschen, die den Behörden helfen", "Lob und Anerkennung" aus.

Forderungen nach einer Vorzugsbehandlung für die drei syrischen Flüchtlinge beantwortete de Maizière mit dem Hinweis, die drei Männer hätten bereits Flüchtlingsschutz. Die Verfahren seien "positiv abgeschlossen". Über eine etwaige Ordensverleihung müsse Bundespräsident Joachim Gauck entscheiden.