Die italienische  Regierung hat den Notstand ausgerufen. Zugleich gab der Ministerrat bei einer Krisensitzung am Donnerstagabend die ersten 50 Millionen Euro für die Unterstützung der Menschen frei, die vielfach alles verloren haben und vor den Ruinen ihrer Existenz stehen. Damit soll Erdbebenopfern in den betroffenen Regionen schnell und unbürokratisch geholfen werden.

Wiederaufbau hat Priorität

Italien wird nach den Worten von Premier Matteo Renzi die bei dem jüngsten Erdbeben zerstörten Orte wieder aufbauen. Das habe derzeit Priorität, sagte Renzi am Donnerstag in Rom. "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir eine moralische Verpflichtung gegenüber den Männern und Frauen dort haben", ergänzte er. Zugleich sei es wichtig, die Maßnahmen zum Schutz vor Erdbeben in Italien zu verbessern.

Italien sei zwar sehr gut darin, mit solchen Katastrophen umzugehen, sagte Renzi. Das sei aber nicht genug. Künftig müsse man sich mehr auf vorbeugende Schritte konzentrieren.

Mindestens 250 Tote

Wie viele Menschen verschüttet sein könnten, war zunächst unklar - die Behörden konnten nach wie vor keine genauen Angaben machen. Mindestens 250 Menschen wurden beim Erdbeben getötet und weitere 365 verletzt. Das teilte die Behörde am Donnerstag mit. 215 Menschen konnten laut Feuerwehr bisher lebend geborgen werden. 

Obwohl seit Stunden kein Verschütteter mehr lebend geborgen wurde, rief der Zivilschutz am Donnerstag die Menschen auf, den Mut nicht zu verlieren. Er erinnerte daran, dass der letzte Überlebende nach dem verheerenden Erdbeben im nahegelegenen L'Aquila noch nach 72 Stunden gerettet werden konnte.

Das Beben in der Nacht auf Mittwoch hatte im Gebiet zwischen den Regionen Latium, Marken und Umbrien mehrere Dörfer teilweise zerstört. Der Bürgermeister des Ferienorts Amatrice, Sergio Pirozzi, sprach am Donnerstagvormittag sogar von mehr als 200 Toten allein in seinem Dorf - eine offizielle Bestätigung gab es dafür aber zunächst nicht.

264 Verletzte wurden nach Angaben der Zivilschutzvertreterin Immocalata Postiglione in Krankenhäusern behandelt, einige von ihnen befanden sich in Lebensgefahr. Hunderte Menschen verbrachten die Nacht in Zelten, ihren Autos oder bei Gastfamilien in weniger betroffenen Nachbarorten. Sie wurden von Dutzenden Nachbeben immer wieder aufgeschreckt. Eines von ihnen richtete am frühen Morgen weitere Schäden an.

Zahl der noch Vermissten unklar

Nach wie vor ungewiss war, wie viele Menschen noch vermisst wurden. Am Mittwoch schwankten die Schätzungen zwischen 50 und mehreren hundert Vermissten, und auch am Donnerstag konnte der Zivilschutz keine konkreteren Angaben machen. Das liegt daran, dass sich die Einwohnerzahl in den vielen pittoresken Dörfern der Region während der Sommermonate verdrei- oder vervierfacht.

Unter den Toten sind offenbar mehrere Ausländer. Nach offiziellen Angaben kamen fünf Rumänen und eine Spanierin ums Leben. In der Erdbebenregion in Italien haben sich nach Angaben der österreichischen Botschaft in Rom auch mehrere Österreicher aufgehalten. Sie hätten sich bei ihren Angehörigen gemeldet und seien wohlauf.

Regierungschef Matteo Renzi versprach bei einer Krisensitzung seines Kabinetts, den Wiederaufbau in der Erdbebenregion sofort in Angriff zu nehmen. Er habe die Lektion aus dem Drama von L'Aquila gelernt. Bei dem Beben in der nur eine Autostunde entfernten Stadt waren 2009 mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Damals wurden vor allem die laxen Bauvorschriften kritisiert.

Nach der Katastrophe von L'Aquila hatte die Zivilschutzbehörde fast eine Milliarde Euro für die Nachrüstung von Gebäuden in Erdbebengebieten zur Verfügung gestellt. Wegen des mühsamen Antragsverfahrens wurden laut Kritikern aber nur wenige Fördergelder abgerufen.

Dagegen wurde die Schule von Amatrice vor vier Jahren nach den Normen der Erdbebensicherheit umgebaut - und stürzte am Mittwoch trotzdem ein. Der Staatsanwalt der nahegelegenen Stadt Rieti will nun prüfen, ob die Behörden von Amatrice oder den anderen betroffenen Dörfern Gelder unterschlagen haben.

Viele Kinder als Todesopfer

Bei der Naturkatastrophe mit mehr als 240 Todesopfern kamen mehrere Kinder ums Leben. Die siebenjährigen Zwillingsbrüder Andrea und Simone Serafini wurden ebenfalls aus den Trümmern in der Ortschaft Amatrice geborgen. Andrea wurde in kritischem Zustand mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus in Rom geflogen, erlag jedoch seinen Verletzungen. Sein Zwillingsbruder überlebte. Die Wohnung, in der die beiden Buben wohnten, befand sich im Zentrum von Amatrice - sie wurde komplett zerstört.

Warum so viele Kinder?

Viele Eltern schicken ihre Kinder in den Sommerferien zu "nonno e nonna", zu Opa und Oma. Diese wohnen oft noch in kleinen Orten, während die Eltern in Städten arbeiten. In den Sommermonaten, besonders im August, erholen sich aber auch oft ganze Familien in ihren Heimatorten vom Großstadtstress.

Es sind vor allem diese herzzerreißenden Geschichten von den kleinen Opfern des Erdbebens, von denen italienische Medien berichten:

  • Eine Mutter zog aus L'Aquila weg, nachdem sie das schwere Beben dort vor sieben Jahren überlebt hatte. Ruhe wollte sie in den Marken finden, in dem kleinen Ort Arquata del Tronto. Doch dort nahm ihr nun das Beben ihre kleine Tochter weg: Mariosol wurde nur 18 Monate alt.
  • Eine ganze Familie wurde im Dorf Accumoli ausgelöscht. Mutter, Vater, ein Volksschulkind und ein kleines Baby. Sie alle schliefen in einem Zimmer, als das Dach über ihnen zusammenbrach. Niemand überlebte.
  • Ein Elfjähriger rief unter den Trümmern nach Hilfe. Über Stunden versuchten die Retter, ihn lebend zu bergen. Doch die Rufe von Alfredino aus Amatrice verstummten. Als er schließlich aus den Trümmern gezogen wurde, war der Bub tot.

Doch es gibt auch einige Geschichten der Hoffnung:

  • Eine Großmutter verkroch sich in Arquata del Tronto mit ihren beiden Enkeln Leone und Samuele unter einem Bett, als das Haus über ihnen zusammenbrach. Sie überlebten.
  • Elisabetta bewies Mut: Das Mädchen sprang aus dem Fenster aus dem ersten Stock in Pescara del Tronto. Unten stand ihr Vater und fing sie auf.