Vor fünf Monaten ist dem Syrer Mohammed die Flucht aus der Türkei nach Griechenland gelungen. Der Weg über das Meer nach Samos sei im Vergleich zur Überquerung der syrisch-türkischen Grenze jedoch einfach gewesen, sagt er. Auch die Route durch Syrien sei aufgrund der verschiedenen bewaffneten Milizen sowie der Regierungstruppen schwierig.

"Scharfschützen nehmen dich ins Visier"

"Acht Mal habe ich versucht, die syrisch-türkische Grenze im Kurdengebiet nördlich von Raqqa zu überqueren. Jedes Mal haben sie auf mich geschossen. Das türkische Militär hat Selbstschussanlagen an der Grenze", schildert der Student aus Damaskus seine Flucht. Sein Glück habe er stets in der Nacht versucht. "Tagsüber nehmen dich die Scharfschützen ins Visier."

Vor allem seit Unterzeichnung des Flüchtlingsdeals zwischen der EU und der Türkei mehren sich Berichte über das gewaltsame Vorgehen der türkischen Grenzsoldaten gegenüber Schutzsuchenden: Die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" berichtete etwa von rund hundert völkerrechtswidrigen Push-Backs (Rückschiebungen) von syrischen Flüchtlingen pro Tag. "Human Rights Watch" warnte bereits im Mai, türkische Sicherheitskräfte würden auf Schutzsuchende schießen und sie schlagen. Die türkische Regierung hat die Vorwürfe stets als "Einzelfälle" abgetan und von "Warnschüssen" gesprochen.

"Sie wollen dich töten"

Auch die 300 Meter nach der Grenze seien für Flüchtende sehr gefährlich, fügt der 26-jährige Mohammed hinzu. "Wenn sie dich dort erwischen, wünschst du dir zu sterben, so stark verprügeln sie dich." Ziel der Türken sei es nicht nur einen Grenzübertritt zu verhindern: "Sie wollen dich töten. Wenn du Glück hast, werfen sie dich nachher auf die syrische Seite, wo es Menschen gibt, die dich abholen können und sich um dich kümmern."

Auf syrischem Gebiet sei die Flucht kaum einfacher. "Auch dort braucht man Schlepper, um die zahlreichen Kontrollposten der Armee sowie der verschiedenen Milizen zu passieren", sagt Mohammed. "Es ist sehr kompliziert, weil die verschiedenen Regionen von verschiedenen Gruppen beherrscht werden."

Resettlement-Programm war keine Option

Dennoch sei es für ihn nie in Frage gekommen, etwa nach Jordanien zu fliehen und dort über ein Umsiedelungs-Programm (Resettlement) der UNO um Asyl in Europa oder anderen westlichen Staaten anzusuchen, erklärt der Englisch-Student. "Natürlich hätte ich nach Zaatari (größtes Flüchtlingslager in Jordanien, Anm.) gehen und dort auf Resettlement hoffen können. Aber die Chancen sind gering, es dauert lange - zwei Jahre in einem Zelt in Zaatari zu leben, muss man erst einmal aushalten."

Tatsächlich findet nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Schutzsuchenden Aufnahme in einem Resettlement-Programm. Im Vorjahr wurden nach Angaben des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) lediglich knapp 82.000 Personen umgesiedelt, knapp 13.816 von ihnen waren Syrer. Mit rund 52.500 Menschen fand der überwiegende Großteil in den USA eine neue Heimat, in Europa war Norwegen mit 2220 Menschen das größte Aufnahmeland.

"Ich wollte nicht einfach nur abwarten, bis etwas passiert", sagt Mohammed. "Und wenn du dich auf eigene Faust auf den Weg machst, dann unternimmst du zumindest irgendetwas."

(Das Gespräch führte Barbara Essig/APA)