Vor fünf Jahren, zu seinem 75. Geburtstag, hatte der Imperator von Wolfsburg 200 Einladungen ausschicken lassen. Die Gäste sollten sich bitte pünktlich um 19.37 Uhr, passend zum Geburtsjahr, im noblen Taschenbergpalais Kempinski in Dresden einfinden, stand in der Einladung, und dazu - in roter Schnörkelschrift - ein Spruch des österreichischen Schriftstellers Ödön von Horváth: ,,Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Die Gesellschaft, die den Patriarchen von Volkswagen hochleben ließ, war freilich hochrangig. Für sie waren im Hotel drei Etagen reserviert, und als sich die Gäste zur Ruhe begaben, fanden sie in ihren Zimmern noch eine Hörbuchversion des Karl-May-Romans ,,Unter Geiern“ vor. Diese Fähigkeit zur Selbstironie hatte dem Jubilar kaum jemand zugetraut.

Am kommenden Montag, wenn Ferdinand Piëch seinen 80. Geburtstag begeht, wird er wohl nur auf die Glückwünsche im engsten Familienkreis Wert legen. Der Langzeitherrscher des deutschen Autogiganten hat sich jede offizielle Feierlichkeit verbeten. Bei Volkswagen herrscht Ratlosigkeit. Man tut sich schwer damit, jenen Mann, der das Unternehmen über zwei Jahrzehnte lang geprägt und an die Spitze gebracht hat, nicht würdigen zu können. Zuletzt wurde daran gedacht, via Zeitungsinserat zu gratulieren. Eine demütige Dankabstattung.

Doch der Bruch zwischen Volkswagen und dem großen Automanager ist zu frisch, war es doch erst vor wenigen Tagen mit dem Verkauf des Großteils seiner Beteiligungen an seinen jüngeren Bruder Michael zum vorläufigen Schlusspunkt der Entfremdung gekommen. Gar nicht zu reden von der Verwundung, die Piëch vor zwei Jahren erlitten hatte, als der vermeintlich Unantastbare nach 13 Jahren an der Spitze des Aufsichtsrats unter Druck den Vorsitz abgeben musste.

Anfang April 2015 war der viel zitierte Satz gefallen, der die Ära des mächtigsten Automanagers der Welt beenden sollte: ,,Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Denn zur Überraschung aller hatte nicht der Konzernchef, sondern der bis zu diesem Zeitpunkt als unbesiegbar geltende Strippenzieher und Großaktionär zu gehen. Besonders bitter: Auch die eigene Familie, allen voran Wolfgang Porsche, hatte ihm die Gefolgschaft verweigert und sich gegen ihn gestellt. Es war die erste und letzte Niederlage für den alten schlauen Fuchs, dessen Wort bis zu diesem Tag Gesetz war.

In ewiger Feindschaft verbunden. In den letzten Jahren hatte sich das Verhältnis zu Cousin Wolfgang Porsche dramatisch verschlechtert
In ewiger Feindschaft verbunden. In den letzten Jahren hatte sich das Verhältnis zu Cousin Wolfgang Porsche dramatisch verschlechtert © APA/EPA/ULI DECK

Bis heute wird gerätselt, was Piëch dazu bewog, von seinem Vertrauten Winterkorn abzurücken und dessen Abberufung zu fordern. Schließlich galt das Duo als Dream-Team der Branche. Fast ein Jahrzehnt lang passte zwischen die detailverliebten und qualitätsbesessenen Techniker kein Löschblatt. Der machtbewusste Aufsichtsratsvorsitzende und sein Vorstandschef bildeten eine kongeniale Seilschaft: Piëch gab als Visionär und Stratege die große Linie vor, Winterkorn setzte um. Zusammen schufen sie das gigantische 12-Marken-Reich und schmiedeten daraus den größten Automobilkonzern der Welt.

So bleiben Mutmaßungen. War es die spürbare Emanzipierung Winterkorns? War es die Geschichte von dem geheimen Plan B, den es im Zusammenhang mit einer angeblichen Erkrankung Piëchs gegeben haben soll und der öffentlich wurde? Piëch vermutete den Maulwurf in der Chefetage. Oder war es ausschließlich der Dieselskandal, von dem der ,,Alte“ Wind bekommen hatte und der Winterkorn für ihn untragbar machte? Dass Winterkorn fünf Monate später abdanken musste, dürfte für den gebürtigen Wiener eine späte Genugtuung gewesen sein. Offen bleibt, was Piëch tatsächlich über die Abgasmanipulation wusste. Es ist schwer vorstellbar, dass ein brillanter Techniker wie Piëch, dem bei Volkswagen nichts verborgen blieb, völlig ahnungslos war. Man wird es nie erfahren.

Stechender Blick:,, Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“
Stechender Blick:,, Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ © APA (Thomas Kienzle)

Zuletzt hatte Piëch unter anderem auch seinen Cousin Wolfgang Porsche beschuldigt, frühzeitig davon gewusst zu haben. Es war ein letztes Revanchefoul am Clanchef der Porsches, den er - obwohl durch Konsortialverträge untrennbar aneinandergeschweißt - jahrzehntelang erbittert bekämpft hatte. Überhaupt: Der Zwist mit den Porsches zog sich wie ein roter Faden durch die Karriere von Ferdinand Piëch. Der in der Härte eines Internats aufgewachsene Piëch brachte den Waldorf-Schülern des Porsche-Zweigs, die er wohlbehütet auf der Komfortseite des Lebens wähnte, stets wenig Wertschätzung entgegen. Als Höhepunkt der Fehde hatte es Piëch gewagt, seinem Cousin Gerd Porsche die Frau auszuspannen, was den Konflikt verstärkte.

Im Automobilgeschäft konnte freilich kein Porsche dem Vollbluttechniker Piëch das Wasser reichen. Seine Rolle als Alphatier der schillernden Autodynastie machte ihm niemand streitig. Mit stählerner Härte, Weitblick und Wagemut, aber auch mit Innovationskraft und Marktgespür hat Piëch seine Visionen realisiert und wie sein Großvater, der legendäre Käfer-Erfinder Ferdinand Porsche, Automobilgeschichte geschrieben. Dass auf diesem Weg für Harmonie und Kompromisse (,,Ich bin nicht gerne Zweiter“) kein Platz war, dokumentiert die ellenlange Liste von Managern und Widersachern, die der als unnahbar geltende Österreicher eiskalt über die Klinge springen ließ. Seine gefürchteten Halbsätze lösten mitunter Panikattacken aus. Die „Financial Times“ bezeichnete ihn einmal als ,,Rottweiler der Autoindustrie“. An Feinden mangelte es nie.

Power-Couple. An der Seite seiner Frau Ursula taute Piëch oft auf
Power-Couple. An der Seite seiner Frau Ursula taute Piëch oft auf © APA

Seine größte strategische Leistung war zweifellos die historische Zusammenführung von Volkswagen und Porsche, der ein brutaler Wirtschaftskrieg vorangegangen war. Aber auch die Rettung von Audi und Volkswagen darf Piëch auf seine Fahnen heften. Die Schaffung der Autostadt Wolfsburg trug seine Handschrift. Als Fahrzeugentwickler schuf Piëch zudem Ikonen wie den Porsche 917, den Audi Quattro oder den VW XL 1, das erste Ein-Liter-Auto der Welt.

Sein Familienleben hält der Milliardär unverändert unter Verschluss. Dass Piëch, den seine Mutter Louise Burli nannte, zwölf Kinder von vier verschiedenen Frauen hat, steht in keiner offiziellen Biografie. Mit Ursula, der ehemaligen Gouvernante seiner Kinder, ist Piëch seit 1984 verheiratet: 2012 holte er sie in den Aufsichtsrat von Volkswagen, 2015 verließ sie das Gremium ebenso. Piëch lebt zurückgezogen in Salzburg, im Sommer zieht es ihn gerne an den Wörthersee. Wer seine Häuser fotografiert und publiziert, bekommt Post von seinem Anwalt - und wird es nie wieder tun. Ein Lebenstraum von Piëch war eine Weltumsegelung mit einer eigenen Segeljacht. Den wollte er sich schon 2002 erfüllen. Daraus wurde nichts. Jetzt wäre endgültig Zeit dafür.